Prof. Dr. Jens Poll, Ingrid Kalisch
1. Vorbemerkung
Rn. 47
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der Erwerb eigener Aktien ist zulässig, wenn diese Aktien Personen, die im Arbeitsverhältnis zu in Rede stehender AG/KGaA/SE oder zu einem mit betreffender Gesellschaft i. S. d. §§ 15ff. AktG verbundenen UN stehen oder standen, zum Erwerb angeboten werden sollen. Die Regelung verfolgt das sozialpolitische Ziel der Förderung der Beteiligung am Produktionskap.
2. Personenkreis
Rn. 48
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Unter die Vorschrift fallen AN, also Personen, die infolge eines privatrechtlichen Vertrags mit betreffender Gesellschaft oder einem verbundenen UN zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind. Aufgrund der Änderungen durch das (zweite) Finanzmarktförderungsgesetz vom 26.07.1994 (BGBl. 1994 I, S. 1794ff.) unterfallen der Vorschrift nunmehr ebenfalls ausgeschiedene AN, also auch Betriebsrentner und Mitarbeiter im Vorruhestand (vgl. Butzke, WM 1995, S. 1389; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 12). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist damit der begünstigte Personenkreis nicht abschließend genannt (vgl. BT-Drs. 12/6679, S. 83). Andere Begünstigte müssen aber zu betreffender AG/KGaA/SE oder zu einem mit ihr verbundenen UN in einem vergleichbaren Verhältnis stehen. Organmitglieder gehören nicht zum begünstigten Personenkreis (vgl. BT-Drs. 13/9712, S. 15; Martens, AG-Sonderheft 8/1997, S. 83 (84)). Die i. R.d. KonTraG angedachte Erweiterung auf Organmitglieder ist letztlich mangels eines insoweit bestehenden praktischen Bedürfnisses nicht vorgenommen worden (vgl. auch Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 12).
3. Absicht des Vorstands
Rn. 49
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Entscheidend ist die ernstliche Absicht des Vorstands, die Aktien nach ihrem Erwerb Personen aus vorstehend genanntem Personenkreis anzubieten.
Rn. 50
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die Absicht muss sich dazu nach außen manifestiert haben, die Ernstlichkeit muss aus den Umständen erkennbar sein. Zu fordern ist ein entsprechender Beschluss mit realistischen Angebotskonditionen (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 13). Eine etwa erforderliche Zustimmung des AR (vgl. HdR-E, AktG § 71, Rn. 32) muss vorliegen. Die Satzung kann jedoch die Ausgabe von Belegschaftsaktien nicht von vornherein ausschließen. Allerdings kann die Satzung ein Zustimmungserfordernis des AR vorsehen (vgl. KK-AktG (2011), § 71, Rn. 73). Eine AG/KGaA/SE soll die Aktien nur vorübergehend halten; der Erwerb eigener Aktien ist daher nicht zulässig, falls die Weitergabe an die AN erst für einen sehr viel späteren Zeitpunkt geplant ist. Das Gleiche gilt, wenn die Menge der erworbenen Aktien in keinem Verhältnis zum Umfang steht, in dem solche Angebote von AN üblicherweise angenommen werden. Insgesamt muss also ein vernünftiger Zusammenhang zwischen dem aktuellen Erwerb und dem geplanten Angebot erkennbar sein.
Rn. 51
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Eine Mitwirkung des Betriebsrats ist nicht erforderlich, zumal es sich nicht um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nach § 87 Abs. 1 BetrVG handelt. Jedoch ist im Hinblick auf die Ernstlichkeit der Absicht zu fordern, dass der Vorstand den Erwerb zur späteren Weitergabe an die jetzigen und ehemaligen AN mit den Vertretern der AN erörtert hat (vgl. KK-AktG (2011), § 71, Rn. 70; a. A. BeckOGK-AktG (2024), § 71, Rn. 64)).
Rn. 52
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der Erwerb wird nicht nachträglich unzulässig, wenn die ernstliche Absicht nicht realisiert wird, auch dann nicht, wenn die Jahresfrist des § 71 Abs. 3 Satz 2 AktG verstreicht (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 13). Die Rechtsfolge aus dem Verstreichen der Jahresfrist ergibt sich vielmehr analog § 71c Abs. 1 AktG: Der Vorstand muss weiterhin bemüht sein, die Aktien in dem genannten Personenkreis zu vernünftigen Bedingungen unterzubringen. Sobald keine vernünftige Realisierungschance mehr besteht oder die Absicht aufgegeben wird, entsteht eine Veräußerungspflicht (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 23). Resultiert aus dem nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu beurteilenden Vorgang ein Schaden, kann sich eine Schadensersatzpflicht aus den §§ 93, 116 AktG ergeben. Die §§ 405 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) AktG, 407 Abs. 1 AktG sind nicht anwendbar.
4. Verbilligte Belegschaftsaktien
Rn. 53
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die Modalitäten des Angebots an die AN sind gesetzlich nicht näher normiert. Die Möglichkeit der verbilligten Abgabe wird von § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG jedoch vorausgesetzt. Sie ist nach allg. Meinung ebenso wie für andere Sozialleistungen zu bejahen, wenn sich der Aufwand i. R.d. Üblichen und Angemessenen hält (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71, Rn. 200; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 12; MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 159). Eine Abgabe unter dem Nennwert ist auch keine Unterpari-Emission, weil die Aktien bereits ausgegeben worden sind. Ein Verstoß gegen § 93 AktG ist möglich, wenn die Abgabebedingungen unüblich oder unangemessen sind (vgl. MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 160). § 19a EStG ebenso wie das Fünfte Vermögensbildungsgesetz (VermBG) vom 04.03.1994 (BGBl. I 1994, S. 407ff., zuletzt geändert durch Art. 34 des sog. Zukunftsfinanzier...