Dr. Klaus-Hermann Dyck, Prof. Dr. Sven Hayn
Rn. 203
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Wie bereits nach dem AktG 1965 ist es auch nach geltendem Bilanzrecht unzulässig, die sog. antizipativen RAP unter den "RAP" auszuweisen, die nur die transitorischen RAP aufnehmen dürfen (vgl. HdR-E, HGB § 250, Rn. 16).
1. Grundlagen
Rn. 204
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Vorschrift des § 268 Abs. 4 Satz 2 stellt auf das rechtliche Entstehen von Forderungen ab. Diese Orientierung ist jedoch zu eng.
Forderungen, die am Abschlussstichtag rechtlich noch nicht entstanden sind, sind nach dem Realisationsprinzip grds. nicht bilanzierungsfähig. Darüber hinaus erscheint es auch zweifelhaft, ob die mit diesen Forderungen einhergehenden Erträge nach dem Kausalitätsprinzip dem abgelaufenen GJ zuzurechnen sind. Eine Forderung entsteht rechtlich grds. dann, wenn das Rechenschaft legende UN eine von ihm geschuldete und den Anspruch begründende Leistung erbracht hat. Aufgrund vertraglicher Vereinbarungen ist zwar denkbar, dass der vertragliche Anspruch erst später geltend gemacht werden kann, jedoch ist dies hinsichtlich der rechtlichen Existenz der Forderung unerheblich, da aufgrund der erbrachten Leistung der Leistende einen Anspruch zumindest aus ungerechtfertigter Bereicherung hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist demnach festzustellen, dass eine rechtlich noch nicht existente Forderung nur dann gegeben sein kann, wenn noch keine Leistung erbracht ist. Ist jedoch noch keine Leistung erbracht, hat nach dem Kausalitätsprinzip eine bilanzielle Erfassung des Ertrags in dem JA für das abgelaufene GJ grds. zu unterbleiben. Ausnahmen sind allenfalls Steuererstattungsansprüche, die erst mit Ablauf eines vom GJ abweichenden VZ entstehen, oder evtl. als Forderung auszuweisende Teilleistungen, die ihrerseits bei langfristiger Fertigung ausnahmsweise eine Teilgewinnrealisierung zu rechtfertigen vermögen (vgl. dazu HdR-E, HGB § 252, Rn. 98ff.).
Rn. 205
Stand: EL 36 – ET: 6/2022
Vor diesem Hintergrund erscheint die Regelung des § 268 Abs. 4 Satz 2 unverständlich. Art. 18 der 4. EG-R (78/660/EWG), auf dem diese Vorschrift beruht, bringt jedoch Klarheit in den Regelungsinhalt. Gemäß Art. 18 der 4. EG-R, der im Übrigen keine explizite Entsprechung mehr in der (neuen) Bilanz-R findet (vgl. indes dortigen Anhang III), sind "Erträge, die erst nach dem Abschlußstichtag fällig werden", angesprochen. Ausgangspunkt ist demnach das Kausalitätsprinzip, d. h., Erträge sind dem GJ zuzuordnen, in dem sie entstanden sind. Die Fälligkeit der mit den Erträgen verbundenen Zahlungsverpflichtung, die aufgrund vertraglicher Vereinbarung wesentlich von dem Zeitpunkt der Leistungserbringung abweichen kann, ist für die bilanzielle Erfassung grds. unerheblich. Biener ((1979), S. 70) weist darauf hin, dass diese Vorschrift in erster Linie Bedeutung für solche UN habe, die sich der Vermietung und Verpachtung widmen. Da es die Mietleistungen, die im abgelaufenen GJ erbracht worden sind, in jedem Fall dem abgelaufenen GJ zuzuordnen gilt, können die Mietzahlungsverpflichtungen infolge vertraglicher Vereinbarungen erst im neuen Jahr fällig werden.
Auch Bonusansprüche können einen solchen Ertragsposten darstellen. Wird der Bonus in Abhängigkeit von der Umsatzhöhe gewährt und die Fälligkeit aufgrund vertraglicher Vereinbarung durch eine Gutschrift, die erst in einem Zeitraum im Folgejahr erstellt werden muss, begründet, so hat die ertragswirksame Vereinnahmung bereits in dem Jahr zu erfolgen, in dem der Umsatz getätigt worden ist. Weitere Beispiele sind abgegrenzte Zinserträge, zeitanteilige Versicherungsprämien etc.
Bei den antizipativen Posten der Aktivseite handelt es sich demnach um Erträge, die wirtschaftlich dem abgeschlossenen GJ zuzuordnen sind (vgl. Biener (1979), S. 69f.). Der im Bilanzrecht vorherrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise folgend, liegt demnach bereits vor vereinbarter Fälligkeit eine Forderung vor, obwohl ein vertraglicher Anspruch noch nicht geltend gemacht werden kann.
Die in § 268 Abs. 4 verankerte Pflicht zur Erläuterung der Beträge, die einen größeren Umfang aufweisen, war eine zwingende Folge des in Art. 18 Satz 2 (2. Halbsatz) der 4. EG-R verankerten Mitgliedstaatenwahlrechts. Infolge gängiger Praxis in einzelnen EU-Mitgliedstaaten wurde die Möglichkeit des Ausweises antizipativer Posten unter den Posten der RAP in die 4. EG-R aufgenommen. Folgt(e) ein Mitgliedstaat – wie in diesem Fall Deutschland – diesem Wahlrecht nicht, so sind diese Beträge "unter den Forderungen" bzw. bei den "sonstige[n] VG" gesondert zu vermerken und ggf. im Anhang entsprechend zu erläutern (vgl. § 268 Abs. 4 Satz 2; überdies Art. 18 Satz 2 der 4. EG-R).
2. Abgrenzung nach dem Umfang
Rn. 206
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Bei der Entscheidung, ab wann die Erläuterungspflicht einzusetzen hat, d. h., ab wann die betreffenden Beträge von größerem Umfang sind, hat sich der JA-Ersteller an dem allg. Informationsbedürfnis der JA-Interessenten zu orientieren. Sobald der Eindruck entsteht, dass diese Information den Einblick in die VFE-Lage verbessert, hat eine Erläuterung des betreffe...