Rn. 139
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Wechselseitige Beteiligungen sind in der Praxis durchaus verbreitet, über ihre wirtschaftliche Bedeutung ist bislang nur wenig bekannt geworden (vgl. zur wirtschaftlichen Bedeutung KK-AktG (2011), § 19, Rn. 4; HdA (2017), Kap. 14, Rn. 32). Sie sollen vornehmlich in der Banken- und Versicherungswirtschaft eine nicht unbeachtliche Rolle spielen (vgl. Emmerich/Habersack (2020), §, 5 Rn. 3; ähnlich MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 7). Häufig wird als Motiv die Abwehr feindlicher Übernahmen durch "Parken" von Anteilen bei befreundeten UN sowie der Aufbau geschäftsstrategischer UN-Verbindungen genannt (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 8). Wechselseitige Beteiligungen sind aufgrund verschiedener Aspekte jedoch durchaus problematisch, weshalb der Gesetzgeber sie zum Schutz der Aktionäre und Gläubiger unter die Regelungen zu den verbundenen UN aufgenommen hat.
Rn. 140
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Problematik einer wechselseitigen Beteiligung wird zunächst in der Gefährdung der Aufbringung und Erhaltung sowie des richtigen Ausweises des Kap. gesehen, denn dadurch, dass zwei Gesellschaften ihre Aktien wechselseitig zeichnen, kann dasselbe Kap. Mehrfach als Einlage verwendet werden, so dass mehrmalige Kap.-Erhöhungen ohne eine echte Vermögensmehrung möglich sind (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 19, Rn. 1, m. w. N.).
Beispiel:
Angenommen UN A und UN B erhöhen jeweils ihr Kap. um 100 GE und zeichnen wechselseitig die neuen Aktien. Hier wandern zunächst die 100 GE des UN A als Einlage in das UN B, von diesem (B) aber als deren Einlage wieder zurück in das UN A, mit der Folge, dass keines der beiden UN neue Mittel erlangt hat. Darüber hinaus ist ein wechselseitiger Aktienerwerb im wirtschaftlichen Ergebnis als eine Rückgewähr von Einlagen an die Aktionäre zu qualifizieren, die gemäß § 57 Abs. 1 AktG unzulässig ist (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 5).
Rn. 141
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Eine noch größere Gefahr wechselseitiger Beteiligungen wird in der Verselbständigung der Verwaltungen gegenüber den Gesellschaftern gesehen. Da die Verwaltungen die Rechte aus wechselseitigen Beteiligungen ausüben, beeinflussen diese die "Willensbildung in der Hauptversammlung der anderen Gesellschaft erheblich, bei hoher Beteiligung sogar maßgeblich [...]. Das Ergebnis sind Verwaltungen, die zwar gegenseitig auf Verständigungen angewiesen sind, aber keiner Kontrolle durch die eigenen Anteilseigner mehr unterliegen und sich der Sache nach durch wechselseitige Zuwahl ergänzen" (Kropff (1965), S. 35). Eine solche gegenseitige Herrschaft der Verwaltungen in den jeweiligen HV beschränkt oder unterbindet den Einfluss und die Kontrolle der anderen Aktionäre in rechtlich nicht hinnehmbarer Weise (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 19, Rn. 1). "In erster Linie um derartige unkontrollierbare Verwaltungsstimmrechte zu verhindern, sollten deshalb wechselseitige Beteiligungen, wenn schon nicht verboten, so doch nach Möglichkeit zurückgedrängt werden" (Emmerich/Habersack (2020), § 5, Rn. 5).
Rn. 142
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Zwar sind wechselseitige Beteiligungen grds. (weiterhin) zugelassen; über die Zulässigkeit der Gestaltung im Einzelfall ist damit aber keine Aussage getroffen. Das Aktienrecht enthält eine Reihe von Sonderregelungen, die die Ausübung von Rechten aus wechselseitigen Beteiligungen beschränken und das Zustandekommen wechselseitiger Beteiligungen innerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen, wenn schon nicht verbieten, so doch zumindest einschränken. Dass es der Gesetzgeber versäumt hat, im Wege der Aktienrechtsreform 1998 auch bereits Beteiligungen unterhalb der Schwelle der Sperrminorität von 25 % in die Regelungen über wechselseitig beteiligte UN einzubeziehen, insbesondere auch hier schon Stimmrechtsbeschränkungen anzuordnen, wird von Bayer heftigst kritisiert. "Es ist daher nach wie vor möglich, dass sich bei gegenseitigen Beteiligungen bis zu einer Höhe von 25 % die Verwaltungen im Wege einer Absprache in den Gesellschafterversammlungen gegenseitig stützen, was bedeutet, dass die im Schrifttum einhellig missbilligte Situation der gegenseitigen Verwaltungsstimmrechte insoweit nicht beseitigt wird. Dieses Unterlassen ist ein eindeutiger Fehlgriff des Gesetzgebers" (MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 16).