Tz. 7
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Wie bereits ausgeführt, ist ein Kaufmann verpflichtet, sowohl einen JA als auch ein Inventar aufzustellen. § 240 Abs. 2 Satz 1 lautet: "Er [der Kaufmann, d.Verf.] hat demnächst für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs ein solches Inventar [wie in § 240 Abs. 1 beschrieben, d.Verf.] aufzustellen." § 242 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet demgegenüber den Kaufmann, "für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluß [(... Bilanz), d.Verf.] aufzustellen." Für den Beginn des Handelsgewerbes gilt Analoges. In beiden Instrumenten wird letztlich das Vermögen des Kaufmanns gezeigt. Der Grund für diese offensichtliche Doppelarbeit ist in der Ermittlung eines zuverlässigen Mengengerüsts sowie einer Sicherungs- und Überwachungsfunktion zu sehen (vgl. Fülling (1976), S. 51f.).
Tz. 8
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Die laufende buchhalterische Erfassung der VG (und Schulden) gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 wird hauptsächlich unter Beachtung der im JA auszuweisenden Bilanzposten wertmäßig vorgenommen und ständig fortgeschrieben. Wegen der Vielzahl der Geschäftsvorfälle innerhalb eines Jahrs dürften Aufschreibungen, die bei den einzelnen VG (und Schulden) die Beachtung des Einzelbewertungsgrundsatzes am Ende des GJ sicherstellen (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3), i. d. R. wohl kaum durchführbar sein. Darüber hinaus steht die Zielsetzung, eine primär gesamtwertorientierte Erfassung zu erreichen, diesem Bestreben ebenfalls entgegen. Diese gesamtwertorientierte Erfassung erscheint im Hinblick auf die Formulierung in § 242 Abs. 1 zulässig, da dort lediglich allg. von Vermögen und Schulden gesprochen wird und nicht wie in § 240 Abs. 1 einzelne Vermögensposten aufgeführt werden (vgl. jedoch im Einzelnen HdR-E, HGB § 238; HdR-E, HGB § 242). Mit Hilfe der Inventur und der daraus abzuleitenden detaillierten Erfassung der VG (und Schulden) im Inventar wird das Mengengerüst der am Schluss des GJ vorhandenen VG (und Schulden) ermittelt. Auf der Basis dieses Mengengerüsts wird die Möglichkeit eröffnet, unter Beachtung des Einzelbewertungsgrundsatzes jedem VG bzw. jeder Schuld den Wert gemäß den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften beizulegen. Darüber hinaus ermöglicht die detaillierte Bestandsaufnahme dem Bilanzierenden, den physischen Zustand der einzelnen VG in Augenschein zu nehmen. Dies verschafft ihm unstreitig eine bessere Erkenntnis zur Durchführung der Bewertungsüberlegungen.
Tz. 9
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Sicherungs- und Überwachungsfunktion der Inventur ist durch die tatsächliche Aufnahme der einzelnen VG (und Schulden) durch Zählen, Messen, Wiegen oder geeignete Schätzung gegeben. Die Ermittlung des tatsächlich vorhandenen mengenmäßigen Bestands ist die sicherste Methode, die innerjährige buchhalterische Erfassung zu überprüfen. Abweichungen zwischen dem Buchbestand (= Sollbestand) und dem tatsächlich vorhandenen Bestand (= Istbestand) können auf vielfältige Ursachen zurückgeführt werden. Die festgestellten Abweichungen sollten demnach auslösendes Moment einer Ursachenforschung und evtl. einzuleitender Gegenmaßnahmen darstellen.
Der innerhalb des GJ buchhalterisch erfasste wertmäßige Bestand ist nach Durchführung der Inventur und abschließender Erstellung des Inventars an den festgestellten Istwert anzupassen. Diese Forderung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, entspricht aber den GoB. Bei vollständiger Stichtagsinventur (aber nur dann) würde daher hinsichtlich der aufgenommenen Posten das Inventar in den entsprechenden Zusammenfassungen dem JA entsprechen. Die Anpassung ist erforderlich, ohne Rücksicht auf die Ursache dieser festgestellten Abweichung. Für die Erstellung des JA ist es grds. ohne Bedeutung, ob die Abweichung auf eine Mengen- oder Wertdifferenz zurückzuführen ist. Diese Unterscheidung erlangt jedoch dann Bedeutung, wenn die erforderlichen Minderungen i. R.d. JA-Erstellung zu unterschiedlichen Behandlungen führen, z. B. Abgrenzung zwischen Abgang (mengenmäßig) und AfA (wertmäßig) beim Anlagespiegel oder Wertminderungen auf das UV, die über das übliche Maß hinausgehen.
Tz. 10
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Weitere Zwecke der Inventur können in der Präventivwirkung und Initiatorfunktion im Hinblick auf eine Veränderung der Vorgehensweise bei der buchhalterischen Erfassung der Geschäftsvorfälle gesehen werden (vgl. Fülling (1976), S. 51f.). Die Präventivwirkung besteht darin, das Bewusstsein der Mitarbeiter dahingehend zu beeinflussen, innerjährig denkbare Ursachen für Mengendifferenzen frühzeitig zu bekämpfen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieses Bewusstsein umso ausgeprägter sein wird, je stärker der jeweilige Mitarbeiter für aufgetretene Mengenabweichungen zur Verantwortung gezogen werden kann.
Ist die Ursache für das Abweichen zwischen Soll- und Istbestand nicht in einer unplanmäßigen Verringerung des Istbestands zu sehen, sondern in einer unzureichenden buchhalterischen Erfassung der Geschäftsvorfälle innerha...