Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
1. Satzungsmäßige Ermächtigung
Rn. 31
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Konzernbildung in der AG, KGaA bzw. SE ist dabei unter einer doppelten Fragestellung zu betrachten: nämlich zum ersten derjenigen nach dem Erfordernis einer Satzungsermächtigung und zum zweiten derjenigen nach der Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung. Es entspricht der heute im Schrifttum ganz h. M., dass Maßnahmen des Vorstands, die zur Begründung eines Konzernverhältnisses führen, grds. nicht vom Gegenstand eines UN erfasst sind. Sie bedürfen daher einer Ermächtigung durch die Satzung (vgl. KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 31; Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 33; Strohn, ZHR 2018, S. 114 (154); Goette, AG 2006, S. 522 (526); Lutter, in: FS Stimpel (1985), S. 825 (847); Martens, ZHR 1983, S. 377 (389); Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, S. 805ff.; zum Erfordernis einer Konzernklausel implizit auch BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 155/02, BGHZ 159, S. 30 (46); a. A. aber etwa Henze, in: FS Ulmer (2003), S. 211 (216f., 227f.)). Erfasst hiervon wird jede Ausgliederung eines wesentlichen, bislang selbst betriebenen Geschäftszweigs auf ein zu diesem Zweck gegründetes TU, ferner die endgültige Abgabe eines solchen Geschäftszweigs, aber auch der Erwerb einer wesentlichen Beteiligung an einem anderen UN. In der Praxis ist es als Folge dieser Rechtsauffassung üblich geworden, zur Bezeichnung des UN-Gegenstands eine sog. Konzernklausel hinzuzufügen. Umstritten ist, ob bei der Umwandlung einer Gesellschaft in eine Vollholding, d. h. bei Aufgabe jeglicher eigenen unternehmerischen Betätigung, eine über die allg. Konzernklausel hinausgehende Holdingklausel erforderlich ist (vgl. nur KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 31, m. w. N.). Zu beachten ist, dass die HV mit satzungsändernder Mehrheit stets eine Konzernbildung beschließen kann.
2. Zuständigkeit
Rn. 32
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorstand und HV ist bei vorliegender Satzungsermächtigung für jene Konzernbildungen, die als Ausgliederung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf der Basis des UmwG erfolgen, gesetzlich geklärt. Die §§ 123 Abs. 3, 125, 13, 65 UmwG schreiben zwingend die Mitwirkung der HV vor. Bei anderweitigen Konzernvorgängen, etwa einer Konzernbildung im Wege der Einzelrechtsnachfolge, auf welche die Regelungen des UmwG nicht im Wege der Analogie angewendet werden können (vgl. Aha, AG 1997, S. 345 (356); Henssler/Strohn (2021), § 1 UmwG, Rn. 23f.; Henssler, in: FS Zöllner (1998), S. 203 (214)), muss, selbst wenn eine Satzungsbestimmung vorliegt, eine Zuständigkeit der HV nach den Holzmüller- und Gelatine-Grundsätzen geprüft werden (vgl. näher hierzu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 30, 35ff.).
Rn. 33
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Es handelt sich um eine Grundlagenentscheidung. Rechtsgrundlage des Zustimmungserfordernisses ist daher nicht, wie vom BGH noch in der Holzmüller-Entscheidung angenommen, eine analoge Anwendung des § 119 Abs. 2 AktG oder eine vom Schrifttum favorisierte analoge Anwendung aktien- und umwandlungsrechtlicher Zuständigkeitsregelungen; vielmehr wird die besondere Zuständigkeit der HV vom BGH seit den Gelatine-Entscheidungen als Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 155/02, BGHZ 159, S. 30 (42f.)). Bei Zuständigkeit der HV bedarf es, unabhängig von einer Konzernklausel in der Satzung, oder einer Satzungsbestimmung, der zufolge die HV i. R.d. gesetzlich Zulässigen grds. mit einfacher Mehrheit beschließen kann, einer qualifizierten Mehrheit von ¾ des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkap. (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 155/02, BGHZ 159, S. 30 (45); im Anschluss an die ganz herrschende Lehre KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 50; Henze, in: FS Ulmer (2003), S. 211 (220f.); Paefgen, ZHR 2008, S. 42 (49)). Nur auf diese Weise lässt sich ein hinreichender Minderheitenschutz gewährleisten.
Rn. 34
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Bei Konzernbildungen durch Beteiligungserwerb (strittig; vgl. hierzu näher KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 42) und Konzernumbildungen liegt die Entscheidung grds., unabhängig davon, ob eine (notwendige) Satzungsbestimmung vorliegt, im Zuständigkeitsbereich der HV. Zahlreiche Detailfragen sind naturgemäß auch nach den angesprochenen Urteilen offen geblieben. Die Entscheidung, einen UN-Zweig in einem selbständigen TU zu betreiben, bildet für sich genommen noch keinen "tiefen" bzw. schwerwiegenden Eingriff in die Mitgliedsrechte und Vermögensinteressen der (Minderheits-)Gesellschafter. Erst wenn wesentliche VG in die Töchter ausgegliedert werden, bedarf es der Mitwirkung der HV.
3. Reichweite
Rn. 35
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Konzernvorgänge sind grds. Teil der eigenverantwortlichen UN-Leitung, die das Gesetz dem Vorstand zuweist (vgl. Goette, AG 2006, S. 522 (523)). Ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der HV kommen daher allein dann in Betracht, "wenn eine von dem Vorstand in Aussicht genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an [... ...