Dipl.-Ök. Heinz-Hermann Hellen, Dr. Martin Vosseler
Rn. 153
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
Mit IFRS 16 hat das IASB einzig und allein Leasingvereinbarungen aus dem Kanon der Dauerschuldverhältnisse herausgegriffen, um diese anders zu bilanzieren. Damit bricht der Nutzungsrechtsansatz den Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte auf, konsequenterweise hätten alle Dauerschuldverhältnisse bilanziell neu abgebildet werden müssen (vgl. BeckOGK-HGB (2020), § 246, Rn. 210.4). Zudem ist es nicht gelungen, eine konzeptionell eindeutige und klare Abgrenzung zwischen erbrachten Serviceleistungen und Leasingverhältnissen zu implementieren. Die in den BC zu IFRS 16 dargelegten Ausführungen können nicht die Problematik negieren, dass eine solche Abgrenzung stark ermessensbehaftet bleibt (vgl. zu den bilanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten Gruber/Hartmann-Wendels, KoR 2016, S. 441 (442ff.)). Daneben bleibt das IASB weiterhin klare Regelungen zur Berücksichtigung von Verlängerungs- und Kündigungsoptionen schuldig. Wann ein "wirtschaftlicher Anreiz" zur Ausübung von Optionen besteht, eröffnet weite Ermessensspielräume für die Bilanzierung von Leasingverträgen (vgl. Müller/Lange, IRZ 2013, S. 275 (278)). Unabhängig davon muss im Kontext der Verlängerungs- bzw. Kündigungsoptionen hinterfragt werden, inwieweit diese überhaupt die im RK festgelegten Kriterien zum Ansatz einer Verbindlichkeit erfüllen (vgl. RK.4.26ff.; RK.5.1ff.).
Rn. 154
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
In der Gesamtschau lässt sich daher feststellen, dass die Umsetzung der komplexen Bilanzierungsregeln des IFRS 16 dem vom IASB vorgegebenen Kosten-Nutzen-Postulat in der Praxis regelmäßig widerspricht. So betreffen die Änderungen nicht nur das Accounting und die damit verbundene IT-Systemlandschaft, sondern auch andere betriebliche Funktionen, wie Controlling, Treasury und Procurement bis hin zu Legal, Tax und HR. Systeme und Prozesse müssen überprüft und angepasst sowie sämtliche Leasingverträge inventarisiert und laufend beurteilt werden; zudem können steuerungsrelevante Finanzkenngrößen, wie Debt-to-Equity-Ratio und EBIT, erheblich beeinflusst werden (vgl. Bardens/Duhr/Heining, IRZ 2016, S. 259ff., 268, sowie zu den vielschichtigen ökonomischen Auswirkungen Nemet/Hülsen/Adolph, FLF 2009, S. 198ff.). Demgegenüber ist der Informationsmehrwert einer derart umfangreichen Bilanzierung nicht ohne Zweifel begründbar. Im Gegenteil: Die Unterstellung eines Finanzierungsgeschäfts für jedes – noch so kurzfristige – Leasingverhältnis ist letztlich eher geeignet, die VFE-Lage ebenso wie die KFR zu verzerren. Durch den neuen Nutzungsrechtsansatz der IFRS wird jedenfalls der Unterschied zu den steuerlichen und handelsrechtlichen Vorschriften, bei denen derzeit keine entsprechenden Änderungen zu erwarten sind, noch größer als bisher (vgl. auch BeckOGK-HGB (2020), § 246, Rn. 210.4f.).