Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Stefan Thiele
Rn. 147
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der Gesetzgeber hat die Kündigung des Prüfungsauftrags durch den AP nur bei Eintreten eines "wichtigen Grundes" zugelassen. Zur Interpretation dieser Gesetzesformulierung ist nach der im Schrifttum einhellig vertretenen Ansicht grds. auf das Verständnis eines wichtigen Grundes bei der Kündigung eines Dienstvertrags unter Berücksichtigung der Besonderheiten der rechtlichen Vorgaben zur AP sowie der Funktion des AP zurückzugreifen (vgl. z. B. MünchKomm. HGB (2024), § 318, Rn. 122; BilR-Komm. (2024), § 318 HGB, Rn. 104; Beck Bil-Komm. (2024), § 318 HGB, Rn. 130; ähnlich auch Bonner HGB-Komm. (2022), § 318, Rn. 212, wonach zumindest eingeschränkt auf die Vorgaben der §§ 626 und 643 BGB verwiesen werden kann). Nach § 626 BGB kann ein Dienstverhältnis jederzeit aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt gemäß § 626 BGB dann vor, "wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses [...] nicht zugemutet werden kann." Wesentliches Kriterium ist folglich, dass die Fortsetzung des Rechtsverhältnisses unzumutbar ist (vgl. so auch Staub: HGB (2023), § 318, Rn. 130). Bezogen auf die Prüfung bedeutet dies, dass der AP den Prüfungsauftrag aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn ihm die Fortsetzung der Prüfung nicht zugemutet werden kann. Bei der Konkretisierung des Kriteriums der Zumutbarkeit sind allerdings zwei wesentliche Unterschiede zwischen dem allg. Dienstvertragsrecht und dem Rechtsverhältnis zwischen prüfungspflichtigem UN und AP zu berücksichtigen: Erstens bestimmt § 318 Abs. 6 Satz 2 ausdrücklich, dass Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des BV sowie seine Erteilung oder Versagung keinen wichtigen Grund i. S. d. § 318 Abs. 2 Satz 1 darstellen. Zweitens ist das Kriterium der Zumutbarkeit vor dem Hintergrund zu interpretieren, dass der AP eine öffentliche Aufgabe erfüllt (vgl. dazu Schulze-Osterloh, in: FS Hefermehl (1976), S. 405 (411ff.)) und daher das Fortbestehen des Rechtsverhältnisses zwischen prüfungspflichtigem UN und AP grds. nicht zur Disposition der Vertragsparteien gestellt ist. Die von § 626 BGB geforderte Interessenabwägung zwischen den Parteien muss daher im Kontext der Prüfung so interpretiert werden, dass neben den Interessen des geprüften UN und des AP auch die öffentliche Funktion der AP zu berücksichtigen ist. I.W. sind diesbezüglich die folgenden Fallgruppen zu diskutieren:
Rn. 148
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
- Ein Kündigungsgrund liegt vor, wenn für den AP die Durchführung der Prüfung unmöglich geworden ist. Ein Beispiel dafür ist eine schwerwiegende Erkrankung des AP. Aber auch wenn der AP erst während der Prüfung erkennt, dass ihm die nötigen Kenntnisse oder Fähigkeiten zur Durchführung der AP fehlen und er dieses Problem nicht beheben kann, ist ein wichtiger Grund zur Kündigung des Prüfungsauftrags gegeben.
Rn. 149
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
- Ebenfalls stellt es einen wichtigen Grund dar, wenn der AP bei einer Fortführung der Prüfung gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen würde und er dies nicht anders als durch eine Kündigung des Prüfungsauftrags verhindern kann. Der wichtigste Fall ist hier das Vorliegen von Ausschlussgründen des § 319 Abs. 2 bis 5 bzw. § 319b sowie Verstößen gegen die Vorgaben der AP-VO durch Sachverhalte, die erst nach Abschluss des Prüfungsvertrags auftreten. Ein Verstoß gegen zuvor genannte Tatbestände führt dazu, dass sich der AP einer Ordnungswidrigkeit schuldig macht. Dieser kann er nur entgehen, wenn er den Ausschlussgrund umgehend beseitigt oder, falls dieses nicht möglich ist, den Prüfungsauftrag kündigt. Einige der in § 319 Abs. 2 bis 5 sowie § 319b bzw. der AP-VO genannten Tatbestände können vom Prüfer bzw. von den Personen, mit denen er seinen Beruf gemeinsam ausübt, nachträglich beseitigt werden. Halten z. B. der Prüfer oder seine Mitarbeiter oder Sozii Anteile an der zu prüfenden Gesellschaft, können die Anteile zu Beginn der Prüfung veräußert werden. Ein kurzzeitiger Anteilsbesitz, u. U. auch während der Prüfung, ist nicht in jedem Fall ein wichtiger Grund für eine Kündigung durch den Prüfer. In gleicher Weise ist zu prüfen, ob bspw. eine nach Art. 5 Abs. 1 der AP-VO verbotene Nichtprüfungsleistung auf ein unbedenkliches Maß reduziert werden kann (vgl. ebenso Beck Bil-Komm. (2024), § 318 HGB, Rn. 133). Im Interesse der prüfungspflichtigen Gesellschaft kann man nicht annehmen, dass allein der Eintritt eines der Ausschlussgründe der §§ 319 Abs. 2 bis 5, 319b oder der AP-VO während der Prüfung für den AP die Pflicht auslöst, den Prüfungsauftrag umgehend zu kündigen, sofern der Ausschlussgrund umgehend beseitigt werden kann und wird. Dies wäre aus der Sicht der am Prüfungsergebnis interessierten Seiten unbillig, da z. B. aufgrund kurzfristigen Anteilsbesitzes weder das Interesse des UN an seiner sachgerechten und ordnungsgemäßen Prüfung beeinträchtigt wir...