Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 5
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG enthaltene Umschreibung der Sorgfaltspflicht knüpft an § 76 Abs. 1 AktG an, wonach der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat. Sie ist die konkretere Umschreibung der allg. Verhaltensstandards der §§ 276 Abs. 2 BGB und 347 HGB (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 8; Geßler-AktG (2011), § 93, Rn. 1).
Tz. 6
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Der Inhalt der Sorgfaltspflicht lässt sich nicht einheitlich bestimmen, sondern variiert je nach Sachlage. Allg. lässt sich sagen, dass die Vorstandsmitglieder verpflichtet sind, i. R.d. Gesetzes, der Satzung und der für die Geschäftsführung verbindlichen Beschlüsse anderer Gesellschaftsorgane den UN-Erfolg zu fördern und Schaden von der Gesellschaft abzuwenden (vgl. so z. B. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 66; Baumbach/Hueck (1968), § 93 AktG, Rn. 6). Aus der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft folgt dabei ein weiter unternehmerischer Handlungsspielraum, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechthin nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grds. auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen. Der Vorstand hat also die Ermächtigung, Risiken einzugehen, und haftet auch dann grds. nicht, wenn sich die eingegangenen Risiken als Verlust realisieren. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am UN-Wohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln vorliegt, deutlich überschritten sind oder die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997, II ZR 175/95, BGHZ 135, S. 253f.; LG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2005, 39 O 73/04, GmbHR 2005, S. 1298). Aus der Sorgfaltspflicht ergibt sich eine Überwachungspflicht zur laufenden Kontrolle bereits getroffener Entscheidungen. Ändern sich die der Entscheidung zugrunde gelegenen Umstände, hat der Vorstand darauf sorgfaltsgemäß zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2008, II ZR 102/07, NJW 2009, S. 850ff.; OLG Hamm, Urteil vom 12.07.2012, I-27 U 12/10, WM 2012, S. 2200ff.). Die sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen als Voraussetzung für die Ausübung unternehmerischen Ermessens setzt neben der Nutzung vorhandener auch die Schaffung neuer Informationsquellen voraus. Unterstrichen wird dies durch § 91 Abs. 2 AktG, wonach der Vorstand ein Überwachungssystem einzurichten hat, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden, sowie den – für börsennotierte Gesellschaften – durch das FISG eingefügten § 91 Abs. 3 AktG, der die Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des UN angemessenen und wirksamen IKS und Risikomanagementsystems vorschreibt (vgl. BT-Drs. 19/26966, S. 41, 114f.). Bei fehlender Sachkunde ist der Vorstand gehalten, sachverständigen oder rechtlichen Rat einzuholen, wobei an die dem Vorstand obliegende Prüfung der Rechtslage und an die Beachtung von Gesetz und Rspr. strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2007, II ZR 48/06, NJW 2007, S. 2118; BGH, Urteil vom 20.09.2011, II ZR 234/09, NZG 2011, S. 1271; ausführlich HdR-E, AktG § 93, Rn. 33). Auch die durch das UMAG in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierte "Business Judgement Rule" verlangt eine unternehmerische Entscheidungsfindung "auf der Grundlage angemessener Information". Was letztlich angemessen ist, richtet sich nach der vernünftigerweise zu erwartenden Einschätzung des Vorstandsmitglieds im Einzelfall.
Tz. 7
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Ebenso wie der Inhalt der Sorgfaltspflicht lassen sich auch Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nicht einheitlich bestimmen. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt variieren je nach Sachlage. Sie sind abhängig von Faktoren wie der Größe, Art und Situation des UN, der Konjunkturlage, den Zeitverhältnissen oder der Geschäftsverteilung innerhalb des Vorstands. Allg. lässt sich sagen, dass die von dem jeweiligen Vorstandsmitglied erwartete Sorgfalt sich danach richtet, wie ein pflichtbewusster, selbständig tätiger Leiter eines UN der konkreten Art und Größe, der nicht mit eigenen Mitteln wirtschaftet, sondern ähnlich wie ein Treuhänder fremden Vermögensinteressen verpflichtet ist, in der konkreten Situation zu handeln hat (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 93, Rn. 8; MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 12; Bastuck (1986), S. 68f.; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 25). Nicht entscheidend sind hingegen die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des betreffenden Vorstandsmitglieds. Besitzt das Vorstandsmitglied diese Fähigkeiten nicht, so darf es das Amt nicht ausüben; ein ausgeübtes Amt muss es niederlegen (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93 AktG, Rn. 59). Im Einzelnen lassen sich die Pflichten folgender...