Dr. Raphael Eichenlaub, Prof. Dr. Claus-Peter Weber
Rn. 10
Stand: EL 31 – ET: 01/2021
Neben den nach § 258 Abs. 2 unberührten allg. Vorschriften der ZPO (vgl. hierzu HdR-E, HGB § 258, Rn. 15ff.) erleichtert § 258 Abs. 1 wesentlich die Beweisführung mittels im Besitz oder Zugriff der gegnerischen Partei oder anderer Dritter befindlicher Handelsbücher einer Partei. Das Gericht kann nämlich auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen die Vorlage der Handelsbücher anordnen. Es ist also insoweit weder ein besonderer Beweisantrag noch ein Antrag gemäß § 421 ZPO erforderlich, insbesondere muss der Grund, aus dem sich die Verpflichtung der anderen Partei zur Vorlegung ergibt, nicht glaubhaft gemacht werden. Es genügt, dass ein Rechtsstreit anhängig ist und das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Handelsbücher einer Partei zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich beitragen können. Das Verfahren folgt entsprechend den Vorschriften der §§ 425ff. ZPO. Wegen der Begrenzung der Einsichtsrechte gemäß § 259 wird in der Vorlegungsanordnung des Gerichts eine Angabe des Streitpunkts, zu dem die Handelsbücher eingesehen werden sollen, erforderlich sein (vgl. KK-AktG (1991), § 258 HGB, Rn. 4).
1. Anordnung auf Antrag
Rn. 11
Stand: EL 31 – ET: 01/2021
Das Gericht kann sowohl auf Antrag des Klägers als auch auf Antrag des Beklagten tätig werden. Irrelevant ist überdies, ob sich der Beweis von Behauptungen auf die eigenen oder die der Gegenpartei beziehen sowie welche Partei die Beweislast trägt (vgl. ADS (1995), § 258, Rn. 7). Die Vollziehung der Anordnung zur Herausgabe der Handelsbücher liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ein grds. Anspruch auf Anordnung der Vorlage ist nach § 258 zu negieren; vielmehr muss das Gericht der Überzeugung sein, dass die Vorlage zur Aufklärung vorgetragener Sachverhalte dienen kann (vgl. Beck Bil-Komm. (2020), § 258 HGB, Rn. 2). Umgekehrt bedeutet dies für die antragstellende Partei: Sie muss substantiiert darlegen, welche tatsächlichen Angaben anhand der Vorlage der Handelsbücher belegt werden, so dass das Gericht im Ergebnis von der Eignung der Handelsbücher zum Beweis überzeugt ist bzw. wird (vgl. Bonner HGB-Komm. (2020), § 258, Rn. 24).
Rn. 12
Stand: EL 31 – ET: 01/2021
Das (berechtigte) Interesse des Kaufmanns an der Geheimhaltung seiner Geschäftsgeheimnisse wirkt bezüglich des o. g. gerichtlichen Ermessens restriktiv. Mithin darf eine Vorlegung nicht zur allg. Ausforschung einer Prozesspartei dienen, sondern lediglich dem Zweck zur Klärung von bestimmten relevanten Fragestellungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Vorlegung, wodurch einer Partei erst die Ergänzung ihres Vorbringens ermöglicht wird, nicht als zulässig zu erachten (vgl. ADS (1995), § 258, Rn. 7; Haufe HGB-Komm. (2020), § 258, Rn. 4).
2. Anordnung von Amts wegen
Rn. 13
Stand: EL 31 – ET: 01/2021
Neben der Anordnung auf Antrag kann das Gericht auch ohne Antrag nach freiem richterlichem Ermessen eine Vorlage der Handelsbücher von Amts wegen anordnen (vgl. § 258 Abs. 1). Dabei muss das Gericht allerdings davon überzeugt sein (analog zur Anordnung auf Antrag; vgl. HdR-E, HGB § 258, Rn. 11f.), dass die Vorlage die Schlüssigkeit der Klage stützt oder die Einwände des Beklagten plausibilisieren. Demgemäß darf die Vorlegungsanordnung nicht überhaupt erst die Substantiierung eines Vortrags ermöglichen; schließlich ist die Wahrung der Geschäftsgeheimnisse auch hier zu berücksichtigen (vgl. Bonner HGB-Komm. (2020), § 258, Rn. 25).
Rn. 14
Stand: EL 31 – ET: 01/2021
Im Gegensatz zum Verhandlungsgrundsatz (Beibringungsgrundsatz), der hauptsächlich in der ZPO vorherrscht und besagt, dass die Parteien die Tatsachen (einschließlich der Beweismittel) bestimmen, die dem Gericht im Rechtsstreit zur Entscheidung unterbreitet werden (vgl. Musielak/Voit (2020), § 139 ZPO, Rn. 1, i. V. m. der Einleitung zur ZPO, Rn. 37ff.; ZPO-Komm. (2020), § 128, Rn. 20ff.), handelt es sich bei der Vorlage von Amts wegen um eine Amtsermittlung. Diese Ermittlung wird auch als Untersuchungsgrundsatz bezeichnet und bedeutet, dass das Gericht die für die Entscheidung der maßgeblichen Rechtssache erheblichen Tatsachen von Amts wegen ermitteln muss. Jener Grundsatz gilt insbesondere im Strafprozess (vgl. § 244 Abs. 2 StPO) sowie bei FamFG-Verfahren (vgl. ZPO-Komm. (2020), § 128, Rn. 38; Musielak/Voit (2020), Einleitung zur ZPO, Rn. 38). Der zivilprozessual dominierende Verhandlungs- bzw. Beibringungsgrundsatz stellt dabei den Hintergrund der Sonderregelung des § 258 Abs. 1 dar, denn das "Prozeßrecht [bietet, d.Verf.] keine ausreichende Möglichkeit [...], um in jedem Falle die Handelsbücher einer Partei als Beweismittel verwenden zu können" (ADS (1995), § 258, Rn. 1). Die Vorlage von Amts wegen besitzt somit ergänzenden Charakter zur ZPO (vgl. Bonner HGB-Komm. (2020), § 258, Rn. 2).