Prof. Dr. Jens Poll, Ingrid Kalisch
1. Weltwirtschaftskrise sowie nachfolgende Reformen des Aktiengesetzes
Rn. 11
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Das grds. Verbot des Erwerbs eigener Aktien geht auf die Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück (vgl. Escher-Weingart/Kübler, ZHR 1998, S. 537 (539); MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 29ff.; Skog, ZGR 1997, S. 307 (314f.)). Da zu dieser Zeit Aktienrückkäufe nicht verboten waren, war reine Kurspflege an der Tagesordnung sowie hektische, rein spekulative Käufe mit der Folge erheblicher Liquiditätsprobleme und anschließender wirtschaftlicher Zusammenbrüche (vgl. Escher-Weingart/Kübler, ZHR 1998, S. 537 (539); Lingemann/Wasmann, BB 1998, S. 853 (860); Schander, ZIP 1998, S. 2087). Durch eine Notverordnung aus dem Jahre 1931 kam es dann zu einem grds. Verbot des Erwerbs eigener Aktien mit engen Ausnahmetatbeständen. Darüber hinaus wurde eine Obergrenze von 10 % des Grundkap. eingeführt. Diese Regelungen wurden mit geringfügigen Änderungen in das AktG von 1937 übernommen und im Jahre 1959 durch eine Novelle ergänzt. Die Reform 1965 brachte nur marginale Änderungen mit sich. Durch die Novelle von 1978 wurden Verschärfungen eingeführt, insbesondere die Verpflichtung zur Bildung einer Rücklage für eigene Aktien (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 71, Rn. 9, m. w. N.; überdies HdR-E, AktG § 71, Rn. 12). Die so entstandenen Regeln bestehen i.W. bis heute fort. Die Erweiterung der Ausnahmetatbestände durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.04.1998 (BGBl. I 1998, S. 786ff.) hat jedoch in der Praxis die Bedeutung des Instruments des Aktienerwerbs durch die Gesellschaft beträchtlich erhöht (vgl. HdR-E, AktG § 71, Rn. 13). Eine Vielzahl börsennotierter AG/KGaA/SE sowie eine Reihe von nicht börsennotierten Gesellschaften verfügen heute über eine entsprechende Ermächtigung zum Rückerwerb eigener Aktien (vgl. hierzu HdR-E, AktG § 71, Rn. 68ff.).
2. EG-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts vom 13.12.1976
Rn. 12
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Der Aufbau der §§ 71 bis 71e AktG entstand in dieser Form aufgrund der 2. EG-R zur Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts (77/91/EWG) vom 13.12.1976 (ABl. EG, L 26/1ff. vom 31.01.11977, S. 1), die mit dem Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 13.12.1978 (BGBl. I 1978, S. 1959ff.) in deutsches Recht umgesetzt wurde. Infolge der Verbindlichkeit der Zielsetzung für den deutschen Gesetzgeber kam dieser Richtlinie bei der Auslegung der §§ 71 bis 71e AktG eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. ähnlich MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 36).
3. KonTraG
Rn. 13
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Eine Verbesserung der Möglichkeiten zum Aktienrückerwerb erfolgte durch KonTraG, das am 05.03.1998 verabschiedet worden ist (vgl. BR-Drs. 203/98). Mit dieser Reform wurde das deutsche Recht zum Aktienrückerwerb weiter an die maßgebliche EG-R (vgl. HdR-E, AktG § 71, Rn. 12) angepasst (vgl. RefE zum KonTraG, ZIP 1996, S. 2129 (2130)). Der durch das BMJ am 26.11.1996 vorgestellte RefE vom 22.11.1996 war zusammen mit einem von Abgeordneten und der Fraktion der SPD vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft (vgl. BT-Drs. 13/367) am 29.01.1997 in einer öffentlichen Anhörung einer kritischen Würdigung unterzogen worden (vgl. die Stellungnahmen der zu dieser Anhörung geladenen Sachverständigen: WPK, AG-Sonderheft 8/1997, S. 100ff.; DAV, ZIP 1997, S. 163ff.). Etliche der dabei vorgebrachten Kritikpunkte wurden im Entwurf der Bundesregierung zum KonTraG (vgl. BT-Drs. 13/9712) berücksichtigt, der dem Bundestag am 28.01.1998 zur Beschlussfassung übersandt und dort dem Plenum am 04.03.1998 vom Rechtsausschuss – mit einigen Änderungen versehen (vgl. BT-Drs. 13/10038) – zur Annahme empfohlen wurde.
Rn. 14
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Anliegen des KonTraG war die Erhöhung von Transparenz, die Stärkung der Kontrolle der HV, die Zulassung moderner Finanzierungs- und Vergütungsinstrumentarien sowie die weitere Angleichung an die internationalen Wettbewerbsbedingungen (vgl. BT-Drs. 13/9712). Wichtigste Änderung war die Einfügung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, der eine weitere Ausnahme des Erwerbsverbots regelt und damit den Katalog zulässiger Erwerbstatbestände wesentlich erweitert.
4. Änderung der Kapitalrichtline sowie ARUG
Rn. 15
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Im Jahre 2006 wurde die Kap.-R 77/91/EWG durch die R 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und Rates (ABl. EU, L 264/32ff.) geändert. Ausgangspunkt der Änderungen waren die Vorschläge der SLIM-Arbeitsgruppe (Simpler Legislation for the Internal Market) zur Deregulierung mit dem Ziel der Vereinfachung und Verschlankung des geltenden Rechts. Die Änderungen betrafen mitunter die Verlängerung der Gültigkeit der Erwerbsermächtigung sowie eine erleichterte Finanzierung des Anteilserwerbs durch die betreffende Gesellschaft (vgl. Kitanoff (2009), S. 281).
Rn. 16
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Durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2479ff.) ...