Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
1. Verlustausgleichspflicht
Rn. 64
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Rechtsfolgen der qualifiziert faktischen Konzernierung bestimmen sich nach dem Recht des Vertragskonzerns (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 51). In Analogie zu § 302 AktG ist das herrschende UN verpflichtet, den gesamten bei der abhängigen Gesellschaft entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen (vgl. so die für die GmbH überholte, für die AG aber weiterhin verwertbare Rspr. zum GmbH-Konzern: BGH, Urteil vom 16.09.1985, II ZR 275/84, BGHZ 95, S. 330; BGH, Urteil vom 25.11.1996, II ZR 352/95, DStR 1997, S. 339; BAG, Urteil vom 01.08.1995, 9 AZR 378/94, AG 1996, S. 222; BSG, Urteil vom 27.09.1994, 10 Rar 1/92, ZIP 1994, S. 1944; fernerhin Decher, DB 1990, S. 2005 (2008); Hoffmann-Becking (1989), S. 68; Kropff, AG 1993, S. 485; Priester, in: FS Semler (1993), S. 561 (579); HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 147ff.; Raiser/Veil (2015), § 61, Rn. 62; Emmerich/Habersack (2020), § 28, Rn. 21; a. A. MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 317, Rn. 14ff.; Hüffer-AktG (2022), § 1, Rn. 29; KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 63ff., sich jeweils für eine Lösung über allg. Grundsätze bzw. die für die GmbH entwickelte Existenzvernichtungshaftung einsetzend). Die Sanktion ist die Konsequenz der Unterordnung des TU unter die eigenen wirtschaftlichen Ziele des MU. Aus ihr folgt die Einstandspflicht für die unternehmerischen Risiken der abhängigen Gesellschaft. Einer Differenzierung zwischen Verlustanteilen, die auf nachteilige Einflussnahmen des MU zurückzuführen sind, und sonstigen nicht konzernbedingten Verlusten bedarf es nicht. Der Anspruch kann nicht von den außenstehenden Aktionären bzw. Gläubigern, sondern nur von der abhängigen Gesellschaft geltend gemacht werden (Innenhaftung). Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Kommentarliteratur zu § 302 AktG verwiesen werden. Besonderheiten infolge der eigenständigen tatbestandlichen Voraussetzungen existieren nicht.
Rn. 65
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Verlustausgleichspflicht endet erst, wenn nicht nur die qualifizierte Einwirkung auf die abhängige Gesellschaft eingestellt wurde, sondern auch keine messbaren Nachwirkungen früherer Einflüsse mehr festzustellen sind (vgl. zeitlich enger Zöllner, in: GS Knobbe-Keuk (1997), S. 369 (378f.)). Die Dauer der Ausgleichsverpflichtung wird von der Intensität der Einflussnahme abhängen. Ist die abhängige Gesellschaft als dienende Gesellschaft geführt worden, die vom Markt abgeschnitten ist und keine selbständige Gewinnerzielung anstrebt (vgl. zu dieser Kategorie der "subservient company" Muscat (1996), S. 65, sowie Fleischer, AG 1999, S. 350 (362)), wird sie sich nach Aufhebung der qualifizierten Einwirkung am Markt erst wieder ihre Eigenständigkeit erarbeitet haben müssen, bevor das MU seine Verantwortlichkeit für sie verliert. Ist die qualifizierte Abhängigkeit ausnahmsweise durch eine Einzelmaßnahme begründet worden (vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 57), kann sich die Ausgleichspflicht aus § 302 AktG auch in einer einmaligen Verlustübernahme erschöpfen.
2. Haftung gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft
Rn. 66
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Jeder Gläubiger der abhängigen Gesellschaft hat in analoger Anwendung des § 303 AktG Anspruch auf Sicherheitsleistung durch das herrschende UN. Wird das Insolvenzverfahren über die abhängige Gesellschaft mangels Masse nicht eröffnet oder aus diesem Grunde eingestellt, so wandeln sich diese Sicherungsrechte in unmittelbare Ersatzansprüche gegen das herrschende UN um (vgl. dazu KonzernR (2022), § 303 AktG, Rn. 24). Hier kommt es damit ausnahmsweise zu einer echten Außenhaftung des beherrschenden UN, da seine Inanspruchnahme anstelle der abhängigen Gesellschaft endgültig feststeht.
3. Ausgleichszahlungen bei Gewinnabführung
Rn. 67
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Auch dann, wenn in der abhängigen Gesellschaft kein Verlust entstanden ist, führt das entsprechend anzuwendende Recht zu Ausgleichszahlungen. Analog zu § 304 AktG hat die beherrschende Gesellschaft den außenstehenden Aktionären einen angemessenen Ausgleich für entzogene Gewinne zu gewähren (strittig; vgl. dafür: Geuting, BB 1994, S. 365; Zöllner, in: GS Knobbe-Keuk (1997), S. 369 (380); KonzernR (2022), Anhang zu § 317 AktG, Rn. 30; Lieb, in: FS Lutter (2000), S. 1151 (1161f.); a. A. KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 111; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 151; MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 317, Rn. 58). Da mit diesem Anspruch lediglich die verlorenen Dividendenchancen kompensiert werden, ist der Beitrag dieser Anspruchsgrundlage zur Lösung der Folgeprobleme qualifizierter Konzernierung gering.
4. Austritt gegen Abfindung
Rn. 68
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Als weit effektiver ist der Schutz über das Austrittsrecht zu werten, das sich hinter dem entsprechend anzuwendenden § 305 AktG verbirgt. Die beherrschende Gesellschaft ist danach verpflichtet, die außenstehenden Aktionäre abzufinden (vgl. Raiser/Veil (2015), § 61, Rn. 61; KonzernR (2022), Anhang zu § 317 AktG, Rn. 29; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 151; Lieb, in: FS Lutter (2000), S. 1151 (1152ff.); Zöllner, in: GS Knobbe-Keuk (1997), S. 369 (379ff.); Säcker, ZHR 1987, S. 59 (...