Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 17
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Vorstandsmitglieder unterliegen aufgrund ihrer Stellung als Organ mit treuhänderischer Funktion und der damit verbundenen besonderen Vertrauensstellung einer Treuepflicht, die in Umfang und Intensität über § 242 BGB hinausgeht. Der Inhalt dieser Treuepflicht lässt sich abstrakt nicht eindeutig bestimmen, sondern variiert je nach Sachlage. Allg. lässt sich sagen, dass jedes Vorstandsmitglied die Pflicht hat, der Gesellschaft über die strikte Einhaltung der gesetzlichen oder anstellungsvertraglichen Pflichten hinaus loyal zu dienen. In allen das Interesse der Gesellschaft berührenden Angelegenheiten muss ein Vorstandsmitglied allein das Wohl der Gesellschaft und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Nutzen anderer verfolgen. Dabei gilt ein besonders strenger Maßstab. Ein Vorstandsmitglied muss bereits den Eindruck vermeiden, es könne sich durch seine Interessen oder die Interessen Dritter bei der Ausübung seines Amts beeinflussen oder befangen lassen.
Tz. 18
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Problematisch ist die Lösung von Interessenkonflikten im Konzern, die durch die Übernahme von Vorstandsdoppelmandaten auftreten, bei denen das Vorstandsmitglied Treuepflichten gegenüber mehreren Gesellschaften unterliegt (vgl. Aschenbeck, NZG 2000, S. 1015ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 1986, S. 570; Semler, in: FS Stiefel (1987), S. 719ff.; Passarge, NZG 2007, S. 441). Statt einer schematischen Lösung über einen generellen Stimmrechtsausschluss entsprechend § 34 BGB des doppelmandatierten Vorstandsmitglieds erscheint eine Lösung sachgerecht, die die Aufgabe des Vorstandsmitglieds in einer ausgleichenden Interessenoptimierung sieht und allenfalls in vereinzelten Situationen zu einem Stimmrechtsausschluss führen kann (vgl. so KK-AktG (2010), § 77, Rn. 39; ebenso ein allg. Stimmverbot bei Interessen- und Pflichtenkollision analog § 34 BGB ablehnend, Hüffer-AktG (2022), § 77, Rn. 8; MünchKomm. AktG (2019), § 77, Rn. 22; für ein Stimmverbot analog § 34 BGB, jedenfalls bei Unvermeidbarkeit einer punktuell wesentlichen Interessenkollision, AktG-Komm. (2020), § 76, Rn. 52). Im Einzelnen lässt sich die Treuepflicht folgendermaßen konkretisieren:
1. Loyaler Einsatz für die Gesellschaft
Tz. 19
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Das Vorstandsmitglied muss seine Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen vorbehaltlos in den Dienst der Gesellschaft stellen. Situationen, die einen außergewöhnlichen Einsatz eines Vorstandsmitglieds erfordern, darf sich das Vorstandsmitglied nicht entziehen. So kann es pflichtwidrig sein, wenn ein Vorstandsmitglied einen ihm nach dem Anstellungsvertrag zustehenden Urlaub antritt, obwohl wichtige Belange der Gesellschaft dessen Anwesenheit erfordern (vgl. KK-AktG (2010), § 93, Rn. 96). Auch in einer Niederlegung des Amts während einer Krise der Gesellschaft kann eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft liegen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 26.05.1994, 6 U 455/91, NJW-RR 1995, S. 556 (557)).
2. Verbot des Einsatzes und der Ausnutzung der Organstellung
Tz. 20
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Vorstandsmitglieder dürfen die ihnen aufgrund ihrer Organstellung zustehenden gesellschaftsrechtlichen Machtbefugnisse nicht zugunsten eigennütziger Zwecke, wie der Erhaltung ihres Amts, einsetzen. Auch ist ihnen das Ausnutzen der Organstellung zur Erlangung persönlicher Vorteile verwehrt. Leistungen der Gesellschaft, die ihnen weder ausdrücklich noch konkludent nach dem Anstellungsvertrag zustehen, dürfen sie nicht entgegennehmen. Insbesondere stellt die ohne jedwede vertragliche Grundlage erfolgende Zahlung – für den Vorstand deren Annahme – nachträglicher Anerkennungsprämien für erbrachte, dienstvertraglich geschuldete Leistungen an Vorstandsmitglieder eine treuepflichtwidrige Schädigung des Gesellschaftsvermögens dar, wenn diese Anerkennungsprämien "kompensationslos" gewährt werden, der Gesellschaft also keinerlei Nutzen bringen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2005, 3 StR 470/04, WM 2006, S. 276 (278)). Insgesamt kann die Grenzziehung im Einzelfall schwierig sein. Die private Inanspruchnahme betrieblicher Hilfsmittel, wie die private Nutzung eines Dienstwagens, wird i. d. R. nur gegen angemessenes Entgelt zulässig sein. Aufwendungen für die persönliche Sicherheit hat das UN jedenfalls dann zu tragen, wenn die dienstliche Stellung des Vorstandsmitglieds eine Gefährdung mit sich bringt. Für Kosten der Repräsentation im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Vorstandsmitglieds wird die Gesellschaft aufzukommen haben, soweit sich diese insgesamt in einem angemessenen Umfang halten. Die den AN des UN durchweg gewährten betrieblichen Leistungen und Vergünstigungen können Vorstandsmitglieder dann in Anspruch nehmen, wenn damit nicht in erster Linie eine soziale Begünstigung der AN erstrebt ist (vgl. zu Einzelheiten KK-AktG (2010), § 93, Rn. 104). Anlässlich von Rechtsgeschäften der Gesellschaft mit Dritten darf ein Vorstandsmitglied keine Leistungen oder Zuwendungen entgegennehmen, sei es in Form von Schmiergeldzahlungen, Provisionen oder dem Vorstandsmitglied gewährten Vorzugspreisen. Umgekehrt darf ein Vorsta...