Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 18
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Das Schutzanliegen der §§ 311ff. AktG gebietet ein weites Verständnis des Begriffs der Veranlassung. Neben der Einwirkung auf Entscheidungsträger der abhängigen Gesellschaft kommt auch ein sonstiges Verhalten der beherrschenden Gesellschaft in Betracht, das sich im Ergebnis nachteilig auswirkt. Im Schrifttum werden in diesem Zusammenhang drei Sonderkonstellationen diskutiert:
- das Handeln des beherrschenden UN als Vertreter der abhängigen Gesellschaft,
- die Personalunion von Entscheidungsträgern in MU und TU, sowie
- die Einflussnahme durch Stimmrechtsausübung.
1. Vertreterhandeln des Mutterunternehmens
Rn. 19
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Eine Einflussnahme i. S. v. § 311 AktG liegt stets dann vor, wenn das herrschende UN als Vertreter der abhängigen AG, KGaA bzw. SE zu deren Nachteil gehandelt hat (h. M.; vgl. AktG-GroßKomm. (1975), § 311, Rn. 3; KK-AktG (2004), § 311, Rn. 23; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 31; MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 115f.; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 80). Betroffen ist insbesondere die gesetzliche Vertretung bei einer KGaA (vgl. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 115).
2. Personenidentität
Rn. 20
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Veranlassender und Veranlassungsadressat können auch in einer Person zusammenfallen, wenn ein Mitglied der Leitungsebene des beherrschenden UN zugleich als Organmitglied oder leitender Angestellter der abhängigen Gesellschaft eingesetzt ist (vgl. zur Zulässigkeit von Doppelmandaten im Konzern BGH, Urteil vom 09.03.2009, II ZR 170/07, NZG 2009, S. 744 (745f.); MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 98; Reuter, AG 2011, S. 274ff.). Vorstandsdoppelmandate begründen die von § 311 AktG verlangte konzernspezifische Kausalität, wenn die Organmitglieder des beherrschenden UN bei Maßnahmen der abhängigen Gesellschaft mitwirken (vgl. Eschenbruch (1996), S. 249). Solche Fälle der Personalunion und personellen Verflechtung sind stets Ausdruck einer besonders intensiven Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft. Im Zweifel wird man daher bei Vornahme nachteiliger Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen von einer Veranlassung durch das MU ausgehen müssen. Hat das Mitglied des Vorstands oder eines sonstigen Führungsgremiums der abhängigen Gesellschaft dagegen in der beherrschenden Gesellschaft als AR-Mitglied nur eine Kontrollfunktion inne, so liegt ohne zusätzliche Umstände noch keine Veranlassung durch das MU vor, wenn diese Person eine nachteilige Entscheidung fällt (vgl. KK-AktG (2004), § 311, Rn. 33; ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 33; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 81; Henssler/Strohn (2021), § 311 AktG, Rn. 11).
3. Stimmrechtsausübung
Rn. 21
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Auch wenn das nachteilige Rechtsgeschäft bzw. die nachteilige Maßnahme auf einem HV-Beschluss beruht, der durch das Abstimmungsverhalten des Allein- oder Mehrheitsgesellschafters geprägt ist, kann eine Einflussnahme i. S. v. § 311 AktG vorliegen. In Betracht kommen neben den eindeutig erfassten Beschlüssen über Maßnahmen der Geschäftsführung, die nach § 119 Abs. 2 AktG nur auf Verlangen des Vorstands zulässig sind (vgl. nur KK-AktG (2004), § 311, Rn. 25; ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 30; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 82; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 29),
- Beschlüsse über UN-Verträge nach § 292 AktG (vgl. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 119; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 29),
- Beschlüsse über eine Verschmelzung oder Spaltung nach dem UmwG (vgl. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 119; KK-AktG (2004), § 311, Rn. 25; a. A. ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 30: organisationsrechtliche Vorgänge, die durch eigenständige Schutzmechanismen erfasst werden), sowie
- Gewinnverwendungsbeschlüsse und Beschlüsse über die Änderung des UN-Gegenstands oder gar die Auflösung der Gesellschaft (vgl. KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 29; MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 127; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 82; a. A. ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 30; KK-AktG (2004), § 311, Rn. 26f.).
Allerdings ist die nachteilige Wirkung des Beschlusses jeweils gesondert festzustellen, so dass etwa Gewinnverwendungsbeschlüsse, die weder einzelne Aktionäre benachteiligen noch Gläubigerinteressen verletzen, (selbstverständlich) nicht erfasst werden (vgl. MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 121ff.; die Nachteiligkeit grds. ablehnend: KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 30). Im Schrifttum werden die Fragen, ob bestimmte Beschlüsse veranlassend wirken können und nachteilige Wirkung nach sich ziehen, nicht immer deutlich genug voneinander getrennt (vgl. etwa ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 30). Die Zustimmung der HV zu einem BHV oder GAV oder einer Eingliederung fällt dagegen ebenso wie der Beschluss über den Formwechsel per se nicht unter § 311 AktG (vgl. Müller, in: FS Goerdeler (1987), S. 375 (383); Emmerich/Habersack (2020), § 25, Rn. 6; MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 128; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 29; zum Verhältnis des § 311 AktG zu § 243 AktG HdR-E, AktG § 311, Rn. 83).