1. Einseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 2 AktG)
Rn. 154
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
§ 19 Abs. 2 AktG definiert eine einseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligung. Sie liegt vor, wenn das eine UN an dem anderen UN eine Mehrheitsbeteiligung besitzt oder einen mittelbaren bzw. unmittelbaren beherrschenden Einfluss ausüben kann, während das andere UN nur i. S. d. § 19 Abs. 1 AktG beteiligt ist. Die Feststellung der Mehrheitsbeteiligung richtet sich nach § 16 AktG insgesamt (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 19, Rn. 4). Dementsprechend sind bei der Berechnung eigene und gleichgestellte eigene Anteile abzusetzen (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2f. AktG), was dazu führen kann, dass sich eine Mehrheitsbeteiligung auch schon bei weniger als 50,1 % Anteilsbesitz ergeben kann. Anders als in § 19 Abs. 1 AktG kann eine Mehrheitsbeteiligung nicht nur durch eine Kap.-, sondern auch durch eine Stimmenmehrheit begründet sein (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 34).
Rn. 155
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AktG beinhaltet darüber hinaus eine unwiderlegbare Abhängigkeitsvermutung für den Fall, dass einem der wechselseitig beteiligten UN eine Mehrheitsbeteiligung an dem anderen UN gehört, oder ein UN einen beherrschenden Einfluss auf das andere UN ausüben kann. Diese Abhängigkeitsvermutung ist anders als im Falle der Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs. 2 AktG nicht widerlegbar (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 19, Rn. 4; KK-AktG (2011), § 19, Rn. 25; Emmerich/Habersack (2020), § 5, Rn. 10). Ziel des Gesetzes ist es, zu verhindern, dass eine Abhängigkeit "mit dem Hinweis auf die beidseitige einfache Beteiligung oder wechselseitige Mehrheitsbeteiligung widerlegt werden kann" (WP-HB (2021), Rn. C 301; vgl. zur "Neutralisierungsthese" wechselseitiger Einflussmöglichkeiten insbesondere KK-AktG (2011), § 19, Rn. 1). Die unwiderlegbare Vermutung der Abhängigkeit gilt auch bei Mehrheitsbeteiligungen aufgrund der Zurechnungen gemäß § 16 Abs. 4 AktG.
Beispiel:
UN A und B sind einseitig qualifiziert wechselseitig beteiligte UN, denn A ist an B mit 25,1 % und B an A durch die Zurechnung der bei D befindlichen Anteile (vgl. § 16 Abs. 4 AktG) mit Mehrheit beteiligt. Außerdem ist A unwiderlegbar ein von B abhängiges UN. Dies würde auch dann gelten, wenn A im Verhältnis zu D die Abhängigkeitsvermutung ausgeräumt hätte (vgl. WP-HB (2021), Rn. C 304).
2. Beidseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 3 AktG)
Rn. 156
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
§ 19 Abs. 3 AktG definiert den Fall einer beidseitigen qualifizierten wechselseitigen Beteiligung. Eine solche liegt vor, wenn eine wechselseitige Mehrheitsbeteiligung besteht, oder beide UN in der Lage sind, auf das jeweils andere unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auszuüben. In diesem Fall gilt unwiderlegbar jedes der beteiligten UN gleichzeitig als herrschendes und als abhängiges UN. Wie schon in § 19 Abs. 2 AktG wollte der Gesetzgeber mit der Unwiderlegbarkeit sicherstellen, dass die für abhängige UN geltenden Regelungen nicht mit dem Argument außer Kraft gesetzt werden, die gegenseitige Einflussnahme würde ein Abhängigkeitsverhältnis ausschließen, sprich neutralisieren (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 35; Emmerich/Habersack (2020), § 5, Rn. 10; AktG-GroßKomm. (2017), § 19, Rn. 30). Entsprechend kommen für jedes der UN sowohl die Vorschriften für abhängige als auch die für herrschende UN zur Anwendung. Zur Ermittlung der Mehrheitsanteile ist wiederum § 16 AktG mit den dort kodifizierten Berechnungsmodalitäten und Zurechnungen anzuwenden.
3. Rechtsfolgen
Rn. 157
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Für alle wechselseitigen Beteiligungen gelten die Vorschriften über verbundene UN (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 35ff.). Darüber hinaus gilt für qualifiziert wechselseitige Beteiligungen, dass alle Vorschriften über abhängige UN zur Anwendung gelangen (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 99ff.). Im Falle einer beidseitigen qualifiziert wechselseitigen Beteiligung finden die entsprechenden Vorschriften für beide UN Anwendung, da beide wechselseitig beteiligten UN als abhängig gelten (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 19, Rn. 51). Als eine wichtige Rechtsfolge wäre zunächst das Zeichnungsverbot für Aktien der herrschenden Gesellschaft durch das abhängige UN gemäß § 56 Abs. 2 AktG zu nennen. Weitere bedeutsame Rechtsfolgen ergeben sich aus den Vorschriften der §§ 71ff. AktG. Hier soll sichergestellt werden, dass dem abhängigen UN aus seinen Aktien an der herrschenden Gesellschaft keinerlei Rechte, insbesondere kein Stimmrecht, kein Dividendenanspruch und auch kein Recht zum Bezug junger Aktien, zustehen (vgl. §§ 71d, 71b AktG).
Rn. 158
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Aktien der herrschenden Gesellschaft darf das abhängige UN nur erwerben, soweit dies der Gesellschaft selbst nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 sowie Abs. 2 AktG gestattet wäre (vgl. §§ 56 Abs. 2, 71d Satz 2 AktG); d. h. grds. nur i. H. v. max. 10 % des Grundkap. der Gesellschaft. Ein darüber hinausgehender Anteilsbesitz ist, soweit er zulässig erworben wurde, binnen einer Frist von drei Jahren zu veräußern (vgl. § 71d Satz 4 AktG i. V. m. § 71c Abs. 2 AktG)....