Rn. 61
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Ähnlich wie bei den vorgenannten Vereinfachungsverfahren bezüglich des Aufnahmezeitpunkts gemäß § 241 Abs. 2 wurde auch die warenwirtschaftssystemgestützte Inventur im Handel erst durch entsprechende technologische Innovationen möglich, nachdem sie zuvor im Schrifttum für bestimmte Industrie- und Handelsbetriebe abgelehnt worden war (vgl. Hofmann (1963), S. 118). So werden die Besonderheiten des Handels in den herkömmlichen Inventurvereinfachungsverfahren nicht berücksichtigt (vgl. Bonner HGB-Komm. (2012), § 241, Rn. 57ff.). Daher sind sie nur in modifizierter Form übertragbar. Die Anwendung der permanenten Inventur ist bei durch unkontrollierbare Einflüsse vergleichsweise unzuverlässigen Beständen im Handel vielfach ebenso ungeeignet wie die Einlagerungsinventur, da menschliche Eingriffe im Handel vielerorts zu unkontrollierbaren Abgängen führen können (vgl. Horst, Dynamik im Handel 1997, S. 36ff.; Horst, Dynamik im Handel 1998, S. 40ff.; Horst, Dynamik im Handel 1999, S. 4ff.; Prokopp (1989), S. 44ff.; Beck-HdR, A 220 (1998), Rn. 121). Vorgeschlagen wird daher, die im Handel zum Einsatz kommenden geschlossenen Warenwirtschaftssysteme für Zwecke der Inventarisierung zu nutzen (vgl. AWV (1996), S. 8ff.; Prokopp (1989), S. 189ff.; Strieder/Habel, DB 1996, S. 1836 (1838)). Hierzu wird die Tatsache ausgenutzt, dass Warenwirtschaftssysteme als Bestandsführungssysteme insbesondere für dispositive Zwecke Warenein- und -ausgänge artikel- und datumsgenau erfassen und somit eine jederzeitige Bestandsabfrage ermöglichen. "Voraussetzung für die Anwendung ist jedoch die Berücksichtigung unkontrollierbarer Abgänge anhand von begründeten Schätzwerten, so daß eine gewisse Toleranzgrenze der Soll-Ist-Abweichung nicht überschritten wird. Ist dies für spezifische Bereiche nicht möglich, müssen diese gesondert anhand klassischer Verfahren erfaßt werden" (AWV (1996), S. 8). Ein max. Schwundsatz für unkontrollierbare Abgänge zwischen Aufnahmestichtag und BilSt i. H. v. 2 % des Sollbestands kann noch akzeptiert werden, ohne die Grundvoraussetzung eines bestandszuverlässigen Inventurbestands zu verletzen. "Werden im Einzelfall 2 % überschritten, sind weitere Aufnahmen möglichst nahe am Bilanzstichtag durchzuführen, bis die ausreichende Bestandszuverlässigkeit erreicht ist" (Beck-HdR, A 220 (1998), Rn. 122). Alternativ wäre die Zeitspanne zwischen den beiden Stichtagen zu verkürzen (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 241 HGB, Rn. 51).
Rn. 62
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Es handelt sich um ein Verfahren mit Einzelnachweis und Elementen der Gruppenbewertung bezüglich der Schätzung der Inventurdifferenz zwischen Aufnahmestichtag und BilSt (vgl. AWV (1996), S. 19) und entspricht i. S. d. Anforderungen des Abs. 2 ebenfalls den GoB.
Rn. 63
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Auf die Anwendung der retrograden Methode zur Ermittlung der Einstandswerte ausgehend von den Verkaufspreisen kann im Handel im Gegensatz zu anderen Branchen regelmäßig verzichtet werden, da in Warenwirtschaftssystemen auch Einstandspreise berücksichtigt werden. Das vom AWV ((1996), S. 17ff.) vorgeschlagene Verfahren sieht vor, dass solche Teileinheiten eines Handelsbetriebs, die mit größerem Schwund behaftet sind, näher am BilSt aufzunehmen sind, während andere Bereiche mit einer höheren Bestandszuverlässigkeit des Warenwirtschaftssystems zeitlich weiter entfernt aufgenommen werden können. Ausgehend von den grds. Anforderungen an die Bestandszuverlässigkeit der Lagerbuchführung sind Abteilungen mit erheblichen Bestandsschwankungen – etwa durch Umbau, Sortimentsanbau oder ausgeprägte Saisonabteilungen – für das AWV-Verfahren ungeeignet.