Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch, Prof. Dr. Sascha Mölls
Rn. 45
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die einzelnen Regelungen des § 256 AktG zueinander stehen. Bedeutung gewinnt das Konkurrenzverhältnis bei der Prüfung der Heilungsmöglichkeiten, welche § 256 Abs. 6 AktG eröffnet. Nach dieser Regelung können nur die in dem Katalog aufgezählten Nichtigkeitsgründe nach dem Ablauf der jeweils für sie geltenden Frist nicht mehr geltend gemacht werden. Soweit die Nichtigkeit auf Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 oder 2, Abs. 4 oder Abs. 5 beruht, kommt eine Heilung grds. in Betracht. Die Heilungsfrist bezüglich Abs. 1 Nr. 3, 4, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 und 2 beträgt sechs Monate ab der Einstellung des JA in das UN-Register gemäß § 325. In den übrigen genannten Fällen bedarf es zur Heilung des Ablaufs einer Frist von drei Jahren (vgl. zu Einzelheiten HdR-E, AktG § 256, Rn. 48ff.).
Rn. 46
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Strittig ist, in welchem Verhältnis die Vorschrift des Abs. 1 Nr. 1 zu den Regelungen der Abs. 4 und 5 steht. So wird Abs. 4 und 5 teilweise die Funktion von Interpretationsnormen mit Begrenzungscharakter zugewiesen (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 24, 6, m. w. N.). Aufgrund des Wortlauts der Norm kann man die Abs. 4 und 5 als begrenzende gesetzliche Auslegungsvorschriften in Bezug auf Abs. 1 Nr. 1 verstehen. Man kann die Regelungen der Abs. 4 und 5 aber auch als leges speciales auffassen, welche Abs. 1 Nr. 1 verdrängen (vgl. grundlegend hierzu AktG-Großkomm. (2020), § 256, Rn. 5). Mit der Formulierung der Exklusivität des Abs. 1, welche in den Abs. 2 und 3 zum Ausdruck kommt, wird indes deutlich, dass die Abs. 4f. als besondere Regelungen Verstöße gegen Gläubigerschutzvorschriften i. S. d. Abs. 1 Nr. 1 betreffen, für die zusätzliche Kriterien erfüllt sein müssen, damit die Rechtsfolge der Nichtigkeit eintritt. Wenngleich die dogmatische Einordnung der Regelungen streitig ist, herrscht im Ergebnis Einigkeit. Die Nichtigkeit des JA tritt in den Fällen eines Gliederungs- oder Bewertungsverstoßes nur dann ein, wenn sich ein solcher unter die Tatbestandsmerkmale der Abs. 4 oder 5 subsumieren lässt. Führt ein Verstoß gegen Gliederungsvorschriften nicht zur Nichtigkeit eines JA nach Abs. 4, weil die weiteren Voraussetzungen des Abs. 4 nicht eingreifen, so kann die Nichtigkeit in der Folge nicht etwa aus der Anwendung des Abs. 1 Nr. 1 hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1993, II ZR 235/92, BGHZ 124, S. 111 (117f.)).
Rn. 47
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Regelung des § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG geht als speziellere Regelung § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG vor, § 256 Abs. 1 Nr. 3 AktG ist ein Spezialfall des § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG.