Prof. Dr. Michael Dusemond, Prof. Christoph Hell
1. Gesonderte Angaben über bestandsgefährdende Risiken
Rn. 42
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Nach § 322 Abs. 2 Satz 3 muss im BV auf Risiken, die den Fortbestand des UN gefährden, gesondert eingegangen werden. Bestandsgefährdende Risiken sind jedoch nicht allein Gegenstand des BV, sondern auch des Prüfungsberichts (vgl. § 321 Abs. 1 Satz 3) und Lageberichts, in dem das Management diese Risiken i. R.d. Darstellung der Risiken der künftigen Entwicklung berücksichtigen muss (vgl. § 289 Abs. 1 Satz 4; überdies DRS 20.146ff., dessen entsprechende Anwendung auf den einzelgesellschaftlichen Lagebericht gemäß § 289 nach DRS 20.2 empfohlen wird).
Rn. 43
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Eine Bestandsgefährdung ist gegeben, wenn die Fortführung des geprüften UN ernsthaft in Frage gestellt werden muss und die festgestellten Risiken die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Gründe dafür sind neben der eingetretenen (vgl. § 17 InsO) sowie drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 18 InsO) auch eine Überschuldung ohne positive Fortführungsprognose (vgl. § 19 InsO)) oder eine Liquidation erforderlich machen (vgl. ADS (2000), § 321, Rn. 75; Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 51; Haufe HGB-Komm. (2022), § 321, Rn. 59; WP-HB (2023), Rn. M 231). Beispiele für möglicherweise bestandsgefährdende Tatsachen sind (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 321 HGB, Rn. 52ff.; Haufe HGB-Komm. (2022), § 321, Rn. 59; WP-HB (2023), Rn. M 232; ADS (2000), § 321, Rn. 75):
- Fortführung der Fertigung ist nicht kostendeckend möglich;
- häufige und immer schwerer überbrückbare Liquiditätsengpässe;
- drohender FK-Entzug (bei fehlenden Ersatzmöglichkeiten);
- drohende Schadensersatzprozesse, deren Streitwert die Mittel des UN übersteigt;
- erhebliche laufende Verluste über einen längeren Zeitraum und ggf. ständige Zuschüsse der Anteilseigner;
- nachteilige Preisentwicklungen im Beschaffungs- oder Absatzmarkt, die das UN nicht auffangen bzw. kompensieren kann;
- stark rückläufige Auftragsbestände und -eingänge;
- Fehlmaßnahmen im Zusammenhang mit bedeutenden Investitionstätigkeiten;
- Ausfall eines großen Forderungsvolumens infolge der Insolvenz eines wichtigen Kunden.
Der Zeithorizont für die Betrachtung der bestandsgefährdenden Risiken sollte entsprechend dem Prognosezeitraum für die zukünftige Entwicklung des UN mindestens ein Jahr betragen, es sei denn, das UN wählt freiwillig einen längeren Zeitraum (vgl. HdR-E, HGB §§ 289, 289a–f, Rn. 127; DRS 20.156; Beck Bil-Komm. (2022), § 289 HGB, Rn. 67 i. V. m. § 315 HGB, Rn. 249; WP-HB (2023), Rn. F 1418). Da nach Veröffentlichung des JA (bzw. KA) und des Lageberichts (bzw. Konzernlageberichts) i. d. R. schon einige Monate des Folgejahrs vergangen sind, sollte der Betrachtungszeitraum aber eher zwei Jahre umfassen (vgl. ebenso Haufe HGB-Komm. (2022), § 289, Rn. 60); dies gilt v.a. dann, wenn sich das UN in einem fortgeschrittenen Krisenstadium befindet (vgl. WP-HB (2023), Rn. F 1418).
Rn. 44
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
In welchem Umfang die bestandsgefährdenden Risiken im BV Berücksichtigung finden sollten, ist in der Literatur strittig. Einerseits wird die Meinung vertreten, dass die festgestellten Risiken auch inhaltlich beschrieben werden sollten (vgl. so etwa Kirsch, in: FS Baetge (1997), S. 955 (972)). Andererseits wird befürchtet, dass die inhaltliche Beschreibung der Risiken im BV zu einer "self-fulfilling-prophecy" werden könnte (vgl. Dörner, WPg 1998, S. 302 (305); Dörner/Bischof, WPg 1999, S. 445 (451)). Das IDW geht davon aus, dass der AP seiner Pflicht aus § 322 Abs. 2 Satz 3 genügt, wenn er im Anschluss an das Prüfungsurteil in einem gesonderten Abschn. mit der Überschrift "Wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang mit der Fortführung der UN-Tätigkeit" auf die Art des bestehenden Risikos und dessen Darstellung im JA und Lagebericht hinweist (vgl. IDW PS 400 (2021), Rn. 49 i. V. m. IDW PS 270 (2021), Rn. 30f.; fernerhin Beck Bil-Komm. (2022), § 322 HGB, Rn. 65; Haufe HGB-Komm. (2022), § 322, Rn. 99; ADS (2000), § 322, Rn. 188). Der Begriff "bestandsgefährdende Risiken" nach § 322 Abs. 2 Satz 3 ist dabei dem Begriff "wesentliche Unsicherheit" gleich zu setzen (vgl. IDW PS 270 (2021), Rn. A3).
Rn. 44a
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Ein solcher Hinweis, der die bestandsgefährdenden Risiken besonders hervorhebt und insofern als Warnfunktion zu werten ist, schränkt den BV nicht ein (vgl. NK-AP (2022), § 322 HGB, Rn. 11; ADS (2000), § 322, Rn. 188; Haufe HGB-Komm. (2022), § 322, Rn. 99; WP-HB (2023), Rn. M 875; überdies HdR-E, HGB § 322, Rn. 21f). Der Verweis auf JA und Lagebericht ist jedoch nur in den Fällen möglich, in denen die Risikodarstellung in JA und Lagebericht zutreffend ist. Sofern die bestandsgefährdenden Risiken im JA (konkret: im Anhang) und Lagebericht nicht oder falsch dargestellt werden, muss der AP den BV modifizieren, indem er einen eingeschränkten BV oder einen Versagungsvermerk erteilt, in dem die Risiken angegeben werden (vgl. IDW PS 270 (2021), Rn. 32f., A40ff.; Haufe HGB-Komm. (2022), § 322, Rn. 101; WP-HB (2023), Rn. M 890). Der bloße Hinweis auf bestandsgefährdende Tatsachen...