Prof. Dr. Jens Poll, Ingrid Kalisch
1. Allgemeines
Rn. 68
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Seit Inkrafttreten des KonTraG hat die Vorschrift des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG für den Erwerb eigener Aktien die größte praktische Bedeutung erlangt. Zahlreiche große Publikumsgesellschaften ebenso wie kleinere börsennotierte UN haben seitdem von der Möglichkeit der Schaffung einer Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG und der Durchführung eines darauf basierenden Erwerbs eigener Aktien Gebrauch gemacht. Aber auch bei kleineren, nicht börsennotierten AG/KGaA/SE hat die Vorschrift praktische Bedeutung erlangt. § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eröffnet die Möglichkeit, eigene Aktien auf der Grundlage eines HV-Beschlusses zu erwerben, ohne dass einer der besonderen Erwerbszwecke nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AktG vorliegen muss. Ferner gibt es keine branchenbezogene Beschränkung wie in § 71 Abs. 1 Nr. 7 AktG. Dabei entscheidet der Vorstand zunächst, der HV vorzuschlagen, die Gesellschaft zum Rückkauf eigener Aktien zu ermächtigen. Ob die HV auch in den Fällen zuständig ist, in denen der entsprechende Beschluss zwar zum Handeln ermächtigt, aber nicht verpflichtet, ist streitig (vgl. zum Meinungsstand Hüffer-AktG (2024), § 83, Rn. 2). Wegen des engen Regelungsgegenstands der Vorschrift des § 83 AktG ist der verneinenden Ansicht zuzustimmen. Entsprechend steht der HV im Hinblick auf § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG kein Initiativrecht gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 AktG zu. Die Umsetzung eines Ermächtigungsbeschlusses der HV erfolgt durch entsprechenden Beschluss sowie mit Durchführung der Maßnahme. Der HV-Beschluss oder die Satzung können darüber hinaus vorsehen, dass auch ein entsprechender Beschluss des AR erforderlich ist. Gesetzlich ist ein solcher Beschluss jedoch nicht erforderlich (vgl. auch Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 19f). Das maßgebliche Leitungsorgan ist dabei nicht verpflichtet, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen.
2. Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss
Rn. 69
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Der Ermächtigungsbeschluss muss dem Erwerb vorangehen. Eine einfache Stimmenmehrheit i. S. d. § 133 Abs. 1 AktG ist mangels anderweitiger Regelung erforderlich und genügend (vgl. Aerssen, WM 2000, S. 391 (394); Kiem, ZIP 2000, S. 209 (210); Kindl, DStR 1999, S. 1276 (1278); Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 19d). Eine AG/KGaA/SE hat kein eigenes Stimmrecht, soweit sie schon eigene Aktien besitzt (vgl. § 71b AktG). Die Ermächtigung hat den höchsten und niedrigsten Gegenwert für den Erwerb festzusetzen, wobei eine relative Anbindung an einen künftigen Börsenkurs zulässig ist (vgl. Kiem, ZIP 2000, S. 209 (210); Kindl, DStR 1999, S. 1276; RefE zum KonTraG, ZIP 1996, S. 2129 (2130)). Der Beschluss hat ferner das Erwerbsvolumen vorzugeben. Es besteht eine Erwerbsschranke i. H. v. 10 % des Grundkap. Im Gegensatz zur Beschränkung in § 71 Abs. 2 AktG bezieht diese Erwerbsschranke sich nicht auf den jeweiligen Bestand der Aktien; vielmehr dürfen aufgrund der Ermächtigung insgesamt max. 10 % des Grundkap. erworben werden (vgl. hierzu auch Kindl, DStR 1999, S. 1276 (1278); Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 19e; a. A. Bosse, WM 2000, S. 806 (807)). Das bedeutet, dass ein weiterer Zukauf nicht zulässig ist, wenn die 10 %-Erwerbsgrenze durch alle Erwerbsvorgänge gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG ausgeschöpft wurde, der Bestand aber durch zwischenzeitliche Verfügungen wieder unter die Schwelle von 10 % gefallen ist. Die Beschränkung gemäß § 71 Abs. 2 AktG ist zusätzlich zu der Erwerbsschranke zu beachten (vgl. hierzu auch HdR-E, AktG § 71, Rn. 80f.). Abzustellen ist auf die Grundkap.-Ziffer im Zeitpunkt der Beschlussfassung, nicht diejenige im Zeitpunkt des Erwerbs. Wird allerdings gleichzeitig mit der Ermächtigung eine Erhöhung des Grundkap. beschlossen, kann die Ermächtigung sich auf die erhöhte Grundkap.-Ziffer beziehen (vgl. Kiem, ZIP 2000, S. 209 (211)). Im letzten Fall ist allerdings darauf zu achten, dass durch Erwerbsvorgänge vor Eintragung der beschlossenen Kap.-Erhöhung 10 % der noch bestehenden niedrigeren Grundkap.-Ziffer nicht überschritten werden. Der konkrete Erwerbszweck muss nicht genannt werden (vgl. Lingemann/Wasmann, BB 1998, S. 853 (860)). Wird er nicht benannt, ist die Bestimmung des Zwecks Geschäftsführungsaufgabe (vgl. BT-Drs. 13/971, S. 13). Die Festlegung des Erwerbszwecks durch die HV ist jedoch üblich und empfehlenswert. Die Aufnahme einer Auffangklausel ("zu sonstigen gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG üblichen Zwecken") zusätzlich zu näher konkretisierten Erwerbszwecken ist möglich (vgl. zu den weiteren Einzelheiten des Erwerbszwecks HdR-E, AktG § 71, Rn. 70). Die Höchstfrist der Ermächtigung beträgt fünf Jahre. Die Frist von fünf Jahren wurde durch Art. 1 Nr. 6 lit. a) des ARUG (vgl. HdR-E, AktG § 71, Rn. 16) eingeführt. Die Frist muss im HV-Beschluss festgesetzt werden. Eine konkrete Bestimmung (z. B. "fünf Jahre seit dem Tag der Beschlussfassung" oder "bis zum 30.06.tx" oder "18 Monate ab dem 02.05.tx") der Frist ist erforderlich. Es kann nicht im Wege der Auslegung auf die gesetzliche Höchstfrist zurückgegriffen werden. Fehlt die Fristbestimmung, is...