Tz. 102
Mit der Globalisierung und dem Zusammenwachsen der Kapitalmärkte ergibt sich das Bedürfnis nach international standardisierten und vereinheitlichten Rechnungslegungsgrundsätzen. Denn die bislang bestehenden nationalen Unterschiede in Grundverständnis, Funktion und Methode der Rechnungslegung führen zu teilweise erheblichen qualitativen und quantitativen Ausweisdifferenzen. Dies wurde durch den Gang deutscher Unternehmen an den New York Stock Exchange besonders deutlich. So ergibt der Vergleich der Abschlüsse etwa von Daimler-Benz im Jahre 1993 einen Gewinn nach HGB von 615 Mio. DM und einen Verlust nach US-GAAP von 1,839 Mrd. DM. Die dadurch hervorgerufene Verunsicherung der Anleger, das Bedürfnis nach weltweiter Vergleichbarkeit von Abschlüssen und die erhebliche Doppelbelastung der Unternehmen fördern die Bemühungen um internationale Rechnungslegungsstandards.
Tz. 103
International einheitliche Rechnungslegung erleichtert den Zugang zu ausländischen Kapitalmärkten. International agierende Konzerne profitieren von einer Standardisierung im Hinblick auf die Konzernabschlüsse, weil im Rahmen der Konzernabschlusserstellung die Aufbereitung und Anpassung der Einzelabschlüsse auf das Rechnungslegungsrecht des Mutterunternehmens entfällt. Grenzüberschreitend agierende Investoren, Analysten, Gläubiger und Ratingagenturen erhalten international vergleichbare Abschlussinformationen. Zugleich wird durch die Anwendung eines weltweit verbreiteten Standards die Globalisierungsfähigkeit erhöht. Die Kosten der Transformation der Daten in ein anderes System entfallen. Für international agierende WP-Gesellschaften kann die Standardisierung die Einsatzfähigkeit ihrer Prüfer erhöhen, während sich auf nationaler Ebene die Überprüfung von Einzelabschlüssen ausländischer Töchter im Rahmen der Konzernabschlussprüfung vereinfacht.
Tz. 104
Gegen die internationale Standardisierung wird allgemein eingewandt, sie könne unerwünschte Auswirkungen auf das Entscheidungsverhalten der Unternehmen haben. Befürchtet wird etwa, dass die Umstellung von der Bewertung nach Anschaffungskosten auf die Fair-Value-Bewertung eine auf kurzfristige Gewinnerzielung verengte Sicht zur Folge hat. Da institutionelle Anleger für ihre Analyse primär auf nationale Konkurrenten und landes- bzw. branchenspezifische Entwicklungen schauen, fragt sich, ob eine internationale Standardisierung notwendig ist. Schließlich ist bislang ungeklärt, ob und in welchem Umfang die Adressaten der Rechnungslegung tatsächlich auf die gebotenen Abschlussinformationen zurückgreifen und ob sie in der Lage sind, diese Informationen angemessen zu verarbeiten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Tz. 105
Ein besonderes Problem resultiert daraus, dass internationale Standards aus dem Blickwinkel international tätiger, großer und damit kapitalmarktorientierter bzw. börsennotierter Unternehmen konzipierten sind. Allerdings liegt es nahe, dass sie vor allem über die Prüfungspraxis großer WP-Gesellschaften auf mittelgroße und kleine Unternehmen ausstrahlen. Dies führt zu der Frage, ob die regulären internationalen Standards (full standards) für solche Unternehmen (KMU) inhaltlich überhaupt geeignet sind.