Tz. 205
Den Ausgangspunkt der informationstheoretisch orientierten Bilanzauffassungen bildet die Erkenntnis, dass Rechnungslegung und Bilanz einer Vielzahl potenzieller Adressatengruppen gewidmet sind, die unterschiedliche Informationsinteressen verfolgen. Hier werden neben dem Kreis der aktuellen und potenziellen Eigen- wie Fremdkapitalgeber (Gesellschafter und Gläubiger) das Unternehmen selbst, der Fiskus, der Rechts- und Geschäftsverkehr sowie die Allgemeinheit genannt. Aus dieser Vielfalt von Adressatengruppen wird ein multiples System von Bilanzzwecken abgeleitet, dass nach Bilanzzwecken aus der Sicht des Gesetzgebers und aus der Sicht des bilanzierenden Unternehmens gegliedert ist. Da es wegen der gesetzlichen Veröffentlichungspflichten etwa den (potenziellen) Anteilseignern möglich ist, die Jahresabschlussinformationen in ihre Anlageentscheidung aufzunehmen, und da auch die Gläubiger diese Informationen bei der Kreditwürdigkeitsentscheidung berücksichtigen, kann der Bilanzierende die Bilanz als Instrument der Entscheidungsbeeinflussung (Informationsmanipulation) nutzen. So kann durch gewinnsenkende bilanzpolitische Maßnahmen bei den Anteilseignern die Begehrlichkeit nach Ausschüttung vermindert werden.
Tz. 206
Zielkonflikte zwischen den unterschiedlichen Bilanzzwecken lassen sich dadurch bewältigen, dass unterschiedliche zweckspezifische Bilanzen erstellt werden (Spezialbilanzen, Grundbilanz und Nebenrechnungen). Nach diesem Verständnis deckt die Handelsbilanz als Grundbilanz die Bilanzzwecke aus Sicht sowohl des Bilanzierenden selbst als auch aus Sicht des Gesetzgebers ab. Dabei lässt sich die Handelsbilanz durch Wahlrechtsausübung, zusätzliche Bilanzposten, Bilanzvermerke und verbale Angaben in Anhang oder Geschäftsbericht auf einen anvisierten Bilanzzwecke ausrichten. Sie kann durch zweckgerichtete Nebenrechnungen ergänzt werden, etwa die Bewegungsbilanz und die Kapitalflussrechnung, die Informationen über betriebliche Zahlungsströme liefern, insbesondere über die Finanzierung von Investitionen.