Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 247
§ 270 Abs. 1 HGB legt fest, dass Einstellungen in die Kapitalrücklage und deren Auflösung bereits bei Aufstellung der Bilanz geschehen müssen. Die Kapitalrücklage selbst ist in § 272 Abs. 2 HGB geregelt. Erfasst sind somit jegliche (unterjährige) Leistungen der Gesellschafter in das Kapital. Die h. M. akzeptiert auch die Einordnung einer unterjährigen Leistung des Gesellschafters an seine Gesellschaft als erfolgswirksamen Zuschuss, z. B. zum Ausgleich eines Fehlbetrags (zu § 272 HGB vgl. Kapitel 7 Tz. 62 f.). Akzeptiert man das, ist § 270 Abs. 1 HGB nicht anzuwenden. Einstellungen in die Kapitalrücklage bei einer Kapitalherabsetzung (§§ 229 Abs. 1, 232, 237 Abs. 5 AktG) sind zwar erfolgswirksam auszuweisen (§ 240 Satz 1 AktG), jedoch gleichfalls bei der Bilanzaufstellung zu berücksichtigen.
Tz. 248
Bei der Auflösung einer Kapitalrücklage sind die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben zu beachten, insbesondere § 150 Abs. 3 und Abs. 4 AktG. Die Auflösung der Kapitalrücklage ist nur erfasst, wenn sie erfolgswirksam geschieht. Das liegt vor, wenn die Auflösung der Kapitalrücklage dem Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, eines Verlustvortrags oder der Erhöhung (bzw. der Schaffung) des Bilanzgewinns dient. Wird sie zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln gem. §§ 207 ff. AktG, §§ 57c ff. GmbHG verwendet, ist § 270 Abs. 1 HGB nicht anwendbar, weil es sich um einen erfolgsneutralen Umbuchungsvorgang handelt.
Tz. 249
Die Aufstellung der Bilanz geschieht durch das Geschäftsführungsorgan. Dabei handelt es sich um einen bloßen Entwurf, der einerseits die zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben zu befolgen hat und für Wahlrechte und Beurteilungsspielräume eine bilanzpolitische Vorstellung des Geschäftsführungsorgans darstellt.
Tz. 250
Entgegen der Sichtweise der Gesetzesverfasser handelt es sich bei § 270 Abs. 1 HGB nicht um eine kompetenzbegründende Norm. Die herrschende Meinung lehnt mit Recht eine endgültige Zuständigkeitsregelung ab. Das ist richtig, weil andernfalls dem zur Bilanzaufstellung zuständigen Organ (Vorstand, Geschäftsführer) eine auch durch die Feststellung des Jahresabschlusses nicht mehr revisible Entscheidungskompetenz zugebilligt würde. Darüber kann jedoch das HGB-Bilanzrecht gar nicht befinden; vielmehr obliegt diese Frage allein dem Gesellschaftsrecht. Eine andere Frage ist, ob § 270 Abs. 1 HGB zumindest eine vorläufige Kompetenz zur Auflösung von Kapitalrücklagen zuweist. Das scheint auf der Hand zu liegen, doch lässt es sich genauso gut denken, dass das entsprechende Gesellschaftsorgan zumindest gesetzlich (sowohl nach AktG als auch GmbHG) als auch satzungsmäßig die Kompetenz dafür zugewiesen bekommen haben muss.