Dr. Mathias Link, Mag. Klemens Eiter
Tz. 64
Hinweise auf ein mögliches Beherrschungsverhältnis können sich aus Zweck und Struktur der zu beurteilenden Einheit ergeben. Wenngleich dies allein keinen Indikator für die Erfüllung des Kriteriums der Entscheidungsgewalt darstellt, kann die Involvierung des Mutterunternehmens in den Gründungsakt der untergeordneten Einheit als Hinweis auf Einwirkungsrechte anzusehen sein (IFRS 10.B51). Entscheidend ist in diesem Kontext der Umfang der Mitwirkung des Mutterunternehmens daran, dass auf gesellschafts- oder schuldrechtlicher Ebene die gewöhnliche Tätigkeit der untergeordneten Einheit überwiegend vorherbestimmt ist und dass die Entscheidungsmacht in Bezug auf ungewöhnliche Entscheidungssituationen dem Mutterunternehmen obliegt. In diesen Fällen gelten ausschließlich die besonderen Entscheidungssituationen als relevante Aktivitäten (IFRS 10.B53) und die Kontrolle durch das Mutterunternehmen kann somit das Kriterium der Entscheidungsgewalt erfüllen.
BEISPIEL
Structured entities – ABS-Konstruktion
Der einzige Zweck einer structured entity besteht im Ankauf von Forderungen des Investors gegenüber Kunden bzw. Kreditnehmern, der Vereinnahmung der Zahlungen bei Fälligkeit und deren Weiterreichung an den Investor. Im Zuge einer separat vereinbarten Put-Option kann die structured entity notleidende Forderungen zurück an den Investor übertragen.
Die Aktivität der structured entity beschränkt sich auf das Management werthaltiger Forderungen, wobei diese Tätigkeit überwiegend durch den Gesellschaftszweck vorbestimmt ist und keine eigenständigen Entscheidungen erfordert. Vor diesem Hintergrund handelt es sich um keine relevante Aktivität. Demgegenüber liegt die Entscheidungsmacht in Bezug auf die notleidend gewordenen Forderungen im Anschluss an deren Rückübertragung wieder beim Investor, der die Entscheidung im Hinblick auf die Beitreibung trifft. Die relevante Aktivität – in Form des Managements notleidender Forderungen – wird durch den Investor bestimmt. Im Ergebnis ist hier ein deutlicher Hinweis auf die Erfüllung des Kriteriums der Entscheidungsgewalt gegeben.
Die Frage, ob das Management der notleidenden Forderungen durch den Investor und damit außerhalb der rechtlichen Grenzen der structured entity vorgenommen wird, ist im vorliegenden Beispiel nicht entscheidend. Stattdessen bilden die Bedingungen der vereinbarten Put-Option einen bedeutenden Bestandteil der Gründung der structured entity. In Bezug auf Leasingobjektgesellschaften bedeutet dies, dass die Entscheidungsmacht häufig beim Leasingnehmer liegen wird, da dieser die Geschicke des Leasingobjekts – bspw. über Untervermietungsrechte, Vertragsverlängerungsoptionen bzw. Erwerbsoptionen – determiniert.
BEISPIEL
Structured entities – Leasingobjektgesellschaft
Der einzige Zweck der structured entity LG besteht im Ankauf eines Grundstücks, der Errichtung eines Gebäudes auf diesem Grundstück sowie der langfristigen Vermietung an die Gesellschaft LN, die zugleich Minderheitsgesellschafter der LG ist. Eine Finanzierungsgesellschaft, die den Bau zu zwei Dritteln über ein Ratendarlehen des LN finanziert, ist Mehrheitsgesellschafter. LN hat zu einem Drittel ein Fälligkeitsdarlehen an LG gegeben. Der Kapitaldienst auf das Ratendarlehen sowie die mit dem Fälligkeitsdarlehen verbundenen Zinsen werden durch die vereinbarten Leasingraten gedeckt. Die LN erhält durch den Leasingvertrag das Recht zur Untervermietung, wobei LG ausschließlich bei bedeutenden und in der Person des Untermieters liegenden Anlässen widersprechen darf. LN kann den Mietvertrag zweimalig um jeweils fünf Jahre verlängern. Zudem kann LN das Mietobjekt nach Ablauf von 20, 25 oder 30 Jahren zum beizulegenden Zeitwert erwerben.
Die von LG durchzuführenden Aktivitäten d.h. der Mieteinzug und die Bedienung der Darlehen – sind vorherbestimmt. Die relevanten Entscheidungen im Hinblick auf die Immobilie liegen ausschließlich bei LN. So entscheidet dieser über die Objektnutzung (d. h. Eigennutzung oder Untervermietung), die Dauer der Nutzung (d. h. Ausübung bzw. Nichtausübung der Verlängerungsoption) sowie die Verwertung des Objekts im Falle der Beendigung des Leasingvertrags (d. h. Ausübung bzw. Nichtausübung der Erwerbsoption).
Ob diese Entscheidungen außerhalb der rechtlichen Sphäre der LG zustande kommen, ist unerheblich, da Grundlage der Leasingvertrag als integraler Bestandteil der Gründung der LG ist. Im Ergebnis beherrscht LN somit die Gesellschaft.
Tz. 65
Gemäß IFRS 10.B54 sind auch explizite oder implizite Bestandsgarantien des Investors bezüglich der structured entity beachtlich. Diese Bestandsgarantien können in der Gründungsphase oder zu einem späteren Zeitraum in Form von vertraglichen Vereinbarungen (Patronatserklärungen) gegenüber Dritten getätigt werden. Eine implizite Bestandsgarantie liegt vor, sofern das Verhalten des Investors darauf schließen lässt, dass es für die structured entity eintritt (stand-behind-obligation). Dabei können die Formen des Eintretens verschiedene Ausgestal...