Dr. Mathias Link, Mag. Klemens Eiter
Tz. 174
Entherrschungsverträge können je nach Ausgestaltung ein Anwendungsfall des Abs. 1 Nr. 1 sein. Nach anderer Auffassung (vgl. Tz. 19) stehen sie einer Konsolidierung nach § 290 HGB a priori entgegen. Beispiel: Bei einer AG als Tochterunternehmen verpflichtet sich der Mehrheitsaktionär (Mutterunternehmen) gegenüber dem Tochterunternehmen, seine Stimmrechte für die Wahl und Abberufung des Aufsichtsrats sowie bei allen Hauptversammlungsbeschlüssen, die wesentliche Angelegenheiten der Geschäftsführung betreffen, auf weniger als die Hälfte der in der Hauptversammlung vertretenen Stimmrechte zu begrenzen ("Minus-Eins-Regel").
Zudem können Beherrschungsverträge (zum Begriff vgl. Tz. 24) mit einem übergeordneten Mutterunternehmen einer Einbeziehung in den Konzernabschluss des zwischengeschalteten Mutterunternehmens (bei Teilkonzernabschlüssen) entgegenstehen.
Tz. 175
Qualifizierte Mehrheits- (z. B. 75 %) oder Einstimmigkeitserfordernisse können ebenfalls Anwendungsfall des Abs. 1 Nr. 1 sein. Gleiches gilt für Zustimmungs- oder Mitwirkungsrechte des Minderheitsgesellschafters. Sie können im Gesellschaftsvertrag oder anderweitig geregelt sein. In allen Fällen dürfen sich diese nicht nur auf die sog. Grundlagengeschäfte (Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen/-herabsetzungen, Liquidation, Entwicklung/Aufgabe neuer Geschäftsfelder) beziehen, sondern müssen sich auch auf die gewöhnliche Geschäftstätigkeit erstrecken.
Tz. 176
Bei staatlichen Maßnahmen ist zu unterscheiden: Maßnahmen mit Wirtschaftslenkung (relevant vor allem im Ausland) führen zu einem Einbeziehungswahlrecht, wenn sie dazu führen, dass das Tochterunternehmen langfristig nicht sinnvoll in die Konzernpolitik eingebunden werden kann. Beispiele sind:
- Tätigkeitsverbote für Ausländer in Gesellschaftsorganen
- Produktionsbeschränkungen
- Preisfestsetzungen
- Devisenbewirtschaftung
- Zwangsverwaltung
Grenzfälle sind Beschränkungen der Transferierbarkeit und/oder Konvertierbarkeit von Gewinnen oder von Darlehenstilgungen, wenn insoweit die Reinvestition dieser Mittel vorgesehen ist, da die Maßnahmen dann im Einklang mit dem Konzerninteresse stehen.
Das bloße Bestehen einer behördlichen Aufsicht (durch BaFin, Kartellbehörden oder vergleichbare ausländische Institutionen) führt nicht zu einem Einbeziehungswahlrecht. Nach Auffassung des DRS sollen auch konkrete behördliche Auflagen unschädlich sein. Je nach Intensität der angeordneten Maßnahme kann dies zweifelhaft sein.
Tz. 177
Bei der Liquidation eines Tochterunternehmens ist zu unterscheiden: Die bloße Existenz des Sperrjahres, das die Verfügungsrechte des Mutterunternehmens insoweit begrenzt, dass keine Gewinn- oder Vermögensverteilung vorgenommen werden darf (§ 73 GmbHG/§ 272 AktG), führt nicht per se zu einem Einbeziehungswahlrecht, da es am Merkmal der Nachhaltigkeit fehlt. Anders ist es, wenn absehbar ist, dass auch nach Ablauf des Sperrjahres mit keinen wesentlichen Auskehrungen zu rechnen ist.
In der Literatur wird bei Insolvenz des Tochterunternehmens aufgrund der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse des Insolvenzverwalters pauschal ein Einbeziehungswahlrecht angenommen. Dies erscheint jedoch in Fällen des vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) sowie der Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) zweifelhaft.
Tz. 178
Die Veräußerung der Mehrheit oder aller Anteile an einem Tochterunternehmen zu Beginn des folgenden Geschäftsjahres kann zu einem Einbeziehungswahlrecht führen, wenn infolgedessen die für eine Konsolidierung erforderlichen Informationen (vgl. Tz. 149 ff.) nicht mehr beschafft werden können. Bei bloßen Verzögerungen kann Abs. 1 Nr. 2 (vgl. Tz. 183 ff.) in Betracht kommen.
Tz. 179
Bei Zweckgesellschaften (vgl. Tz. 27) ist zu unterscheiden:
- Regelmäßig erfolgt die Konsolidierung nach § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB bei dem Mutterunternehmen, das die Mehrheit der Chancen und Risiken der Zweckgesellschaft trägt (vgl. Tz. 28). Dieses Unternehmen ist regelmäßig nicht aktiv in die Geschäftsführung eingebunden. Vielmehr ist ein Autopilot-Mechanismus installiert, d. h. durch entsprechende vertragliche Regelungen werden die wesentlichen geschäftspolitischen Entscheidungen und die Tätigkeiten der Zweckgesellschaft durch das Mutterunternehmen vorherbestimmt, sodass es danach keiner laufenden Einflussnahme mehr bedarf. In diesem Fall kommt Abs. 1 Nr. 1 nicht in Betracht, da die entsprechenden Rechte mit Einrichtung des Autopilot-Mechanismus als ausgeübt gelten.
- Umgekehrt kann der durch den Autopilot-Mechanismus entmachtete Inhaber der formalen Gesellschafterstellung/Stimmrechte sich regelmäßig auf Abs. 1 Nr. 1 berufen, sodass die Zweckgesellschaft bei ihm nicht konsolidiert werden muss.
Dies gilt grundsätzlich auch für Unterstützungskassen oder ähnliche externe Versorgungseinrichtungen (Pensionsfonds; Pensionskassen), wenn diese als Zweckgesellschaften qualifiziert werden (vgl. Tz. 27).