Dipl.-Oec. Andrea Bruckner, Dr. Niklas Homfeldt
Tz. 191
Abs. 1 Satz 3 enthält zudem eine Berichtspflicht über
- Unrichtigkeiten oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften,
- Tatsachen, die den Bestand des geprüften Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können, und
- Tatsachen, die schwerwiegende Verstöße der gesetzlichen Vertreter oder von Arbeitnehmern gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder die Satzung erkennen lassen.
Diese Redepflicht bezweckt, die Überwachungsorgane rechtzeitig und mit der gebotenen Deutlichkeit zu informieren, sodass diese geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen können. Sie ist als Teil eines gesetzlich vorgegebenen Frühwarnsystems zu sehen.
Tz. 192
Unter den gesetzlichen Vorschriften sind die für die Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichts geltenden Rechnungslegungsnormen gem. § 317 Abs. 1 Satz 2 HGB einschließlich der GoB und der DRS zu verstehen. Eine Unrichtigkeit liegt bei einer unbeabsichtigt falschen Angabe vor, während ein Verstoß ein bewusstes Abweichen von rechtlichen Vorgaben umfasst. Es ist zu berichten, sofern dies für die Überwachungsaufgaben der Berichtsadressaten von Bedeutung ist. Auch Beanstandungen, die sich nicht im Bestätigungsvermerk niedergeschlagen haben, können für die Empfänger bedeutsam sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Unrichtigkeit bzw. der Verstoß als schwerwiegend zu qualifizieren ist. Sofern Fehler im Verlauf der Prüfung behoben wurden, muss über sie grundsätzlich nicht berichtet werden, es sei denn, dass diese Information für die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion wesentlich ist. Dies ist insbesondere bei Unregelmäßigkeiten, die auf Schwächen im rechnungslegungsbezogenen internen Kontrollsystem hindeuten, geboten.
Tz. 193
Eine Bestandsgefährdung ist gegeben, wenn ernsthaft damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen in absehbarer Zeit seinen Geschäftsbetrieb nicht mehr fortführen kann und damit die Gefahr einer Insolvenz oder einer Liquidation besteht. Als absehbare Zeit ist ein Zeitraum von mindestens zwölf Monaten nach dem Abschlussstichtag zu sehen. Indikatoren, die zu einer Bestandsgefährdung führen können, sind u. a.:
- drohender Entzug von Fremdkapital, ohne die Aussicht, neue Kredite aufnehmen zu können
- Verstoß gegen den Grundsatz der fristenkongruenten Finanzierung, ohne dass Verlängerungs- oder Umschuldungsmöglichkeiten bestehen
- Kündigung von Krediten
- ständige Zuschüsse der Anteilseigner
- häufig auftretende massive Liquiditätsengpässe
- erhebliche laufende Verluste
- erhebliche Forderungsausfälle
- keine kostendeckende Fertigung
- ständig zurückgehender Absatz
- Wegfall von Märkten, Lizenzen oder Schutzrechten
- gravierende Fehlinvestitionen
- Unterlassung notwendiger Investitionen
Unter die Tatsachen, welche die Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können, fallen neben den bestandsgefährdenden Tatsachen, deren Auswirkungen für eine Entwicklungsbeeinträchtigung nicht im gleichen Maße folgenreich sein müssen wie bei der Bestandsgefährdung, auch solche, die einen bisherigen positiven Trend unterbrechen oder ungünstig beeinflussen. Insofern wird die Berichtspflicht zu entwicklungsbeeinträchtigenden Tatsachen tendenziell früher ausgelöst als diejenige zu den bestandsgefährdenden Tatsachen, wobei die Grenze zwischen beiden aber fließend ist. Hinweise auf eine lediglich angespannte Lage des Unternehmens fallen nicht unter entwicklungsbeeinträchtigende Tatsachen. Tatsachen, welche die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigen können, sind, über die bereits angeführten Kriterien hinaus, u. a.:
- länger anhaltende Dividendenlosigkeit bei Tochterunternehmen
- stark rückläufige Auftragseingänge und -bestände
- Verlust wesentlicher Marktanteile
- Stilllegungen von Betriebsteilen
- Verkauf von Beteiligungen zur Sicherung der Liquidität
- erhebliche Verluste bei Beteiligungsgesellschaften
Bei der Wertung solcher Tatsachen ist zu beachten, dass in vielen Fällen erst das Zusammenwirken mehrerer Tatsachen eine Bestandsgefährdung bzw. eine Entwicklungsbeeinträchtigung auslöst. Die Berichtspflicht besteht nicht erst dann, wenn der Bestand konkret gefährdet bzw. die Entwicklung bereits wesentlich beeinträchtigt ist, sondern bereits schon, wenn die Tatsachen eine Bestandsgefährdung oder eine Entwicklungsbeeinträchtigung ernsthaft zur Folge haben können. Lediglich vage oder vereinzelte Hinweise auf eine angespannte wirtschaftliche Lage lösen hingegen keine Berichterstattungspflicht aus.
Eine Redepflicht besteht auch für den Fall, dass das geprüfte Unternehmen bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet hat, der Abschlussprüfer aber von deren Wirksamkeit nicht überzeugt ist. Im Zweifelsfall hat sich der Abschlussprüfer im Interesse des geprüften Unternehmens für eine Berichterstattung zu entscheiden. Die Redepflicht umfasst keine allgemeinen politischen oder wirtschaftlichen Gefahren oder Ereignisse, auch dann nicht, wenn daraus faktisch eine Bestandsgefährdung oder eine Entwicklungsbeeinträchtigung resultiert.