Dr. Falk Mylich, Dr. Thilo Schülke
Tz. 21
In der Einleitung zu diesem Kapitel und auch im vorstehenden Abschnitt wurde die Differenzierung zwischen "unrichtigen" Bilanzansätzen bzw. "unrichtigen" Bewertungen einerseits und "fehlerhaften" Ansätzen bzw. Bewertungen andererseits gewählt, um verdeutlichen zu können, dass nicht jeder Ansatz oder jede Bewertung, die nicht mit den gesetzlichen Vorschriften übereinstimmen, einen "Fehler" darstellt. Denn für das Handelsbilanzrecht wird vom Schrifttum der sog. "subjektive Fehlerbegriff" vertreten. Ansätze und Bewertungen unterliegen danach der Maßgabe, dass die Erforderlichkeit der Berücksichtigung von Tatsachen in der Bilanz für den Kaufmann erkennbar war. Ein Bilanzansatz ist nur dann fehlerhaft, wenn er objektiv gegen Bilanzierungsvorschriften verstößt und dies für den Kaufmann bei Anwendung der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt auch erkennbar war.
Tz. 22
Der subjektive Fehlerbegriff in der vorstehenden Diktion wird auch von der Steuerrechtsprechung angewendet. Der BFH hat ihn erstmals in einem Urteil vom 11.10.1960 vertreten und seitdem in ständiger Rechtsprechung beibehalten. In diesem grundlegenden Urteil wird, bezogen auf den Bilanzersteller, ausgeführt: "Kennt er bei der Aufstellung der Bilanz Tatsachen nicht, die seine Forderungen als nicht vollwertig erscheinen lassen, so kann er nicht verpflichtet werden, die von ihm nach bestem Wissen aufgestellte Bilanz, wenn er später diese Kenntnis erlangt, zu berichtigen."
Tz. 23
Der subjektive Fehlerbegriff wird vom handelsrechtlichen Schrifttum aus den GoB hergeleitet. Der Kaufmann, so wird es in der Literatur vertreten, könne seiner Pflicht zur Aufstellung eines den tatsächlichen Verhältnissen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens entsprechenden Abschlusses (vgl. § 242 Abs. 1 HGB) nur nachkommen, wenn er nur berücksichtigen muss, was er auch wissen kann. Auch das Stichtagsprinzip (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) gebiete nur die Berücksichtigung subjektiv erkennbarer Umstände. Denn eine getroffene Beurteilung der Wahrheit einer Aussage kann durch Veränderungen auf der tatsächlichen Ebene im Zeitablauf möglicherweise neu zu überdenken sein. Der Stichtag sei daher nicht nur bei der Bilanzierung, sondern auch bei der Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Bilanzierung zu beachten. Würde hingegen die Berücksichtigung von subjektiv nicht erkennbaren Umständen verlangt, hätte das zudem eine Verletzung des Wertaufhellungsprinzips zur Folge. Denn der Gesetzgeber habe eindeutig entschieden, welche Informationen zu berücksichtigen sind und welche folglich nicht. Wieder andere stellen vordringlich darauf ab, dass im Falle eines Fehlerbegriffs, der nicht die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Kaufmanns berücksichtige, die praktischen Folgen außer Verhältnis gerieten.