Dr. Falk Mylich, Dr. Thilo Schülke
Tz. 29
Erforderlich ist, dass ein ordentlicher Kaufmann im maßgeblichen Zeitpunkt (Bilanzaufstellung oder Bilanzfeststellung, strittig, siehe zuvor) bei pflichtgemäßer und sorgfältiger Prüfung aller damals verfügbaren Informationen und bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten den Fehler hätte erkennen können. Sinngemäß wird damit der Haftungsmaßstab ins Bilanzrecht übertragen, der für die Geschäftsleiterhaftung gem. §§ 43 GmbHG, 93 AktG gilt. Diese Übertragung ist deshalb lediglich sinngemäß und nicht "eins-zu-eins", weil der gesetzliche Auftrag zur Bilanzierung im Gegensatz zu diesen Haftungstatbeständen kein Verschuldenserfordernis kennt; es erhält nur durch den subjektiven Fehlerbegriff Einzug in die Bilanzierung. Auch ist die Geschäftsleiterhaftung eine reine Innenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft. Soweit das Verschulden im Rahmen von § 43 GmbH und § 93 AktG jedoch von der Kenntnismöglichkeit des Geschäftsleiters abhängt, lässt der Maßstab sich durchaus für die Beurteilung der Kenntnisnahmemöglichkeit des Bilanzieren heranziehen.
Tz. 30
Ein zur Bilanzierung verpflichteter Geschäftsleiter hat gem. § 43 GmbHG und § 93 AktG für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, die seine Aufgabe objektiv erfordert. Er kann sich deshalb nicht auf fehlende fachliche Kenntnis berufen. Ist er selber nicht in der Lage, die Situation einzuschätzen, muss er fachlichen Rat hinzuziehen. Man wird insofern –was die Erkennbarkeit betrifft – auf den Maßstab der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normierten Business Judgment Rule zurückgreifen können, wonach eine Pflichtverletzung (hier: ein Bilanzierungsfehler) nicht vorliegt, wenn der Geschäftsleiter vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben. Es ist deshalb aus ex ante-Perspektive zu beurteilen, ob der Bilanzierende alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ausgewertet hat. War das der Fall und war der wahre Sachverhalt, auf dessen Grundlage eine andere Bilanzierungsentscheidung hätte getroffen werden müssen, gleichwohl nicht erkennbar, so liegt ein Bilanzierungsfehler i. S. d. subjektiven Fehlerbegriffs nicht vor.