Dr. Falk Mylich, Dr. Thilo Schülke
Tz. 55
Der Jahresabschluss ist gem. § 256 AktG nichtig, wenn ein Fall wesentlicher Überbewertung vorliegt. Überbewertung liegt vor, wenn Vermögensgegenstände zu hoch und Schulden (Verbindlichkeiten und Rückstellungen) zu niedrig bewertet sind. Dem steht gleich, wenn Schulden gar nicht angesetzt wurden, obwohl dies erforderlich war.
Die Überbewertung muss sich nach § 256 Abs. 5 Nr. 1 AktG auf Posten beziehen. Gemeint sind damit die Posten des § 266 HGB. Es ist also nicht auf einzelne Vermögensgegenstände abzustellen, sondern zu prüfen, ob ein Posten zu hoch ausgewiesen ist. Nach h. M. können Bewertungsfehler innerhalb eines Postens daher kompensierend wirken. Nach überzeugender Ansicht dürfen aber nur solche Vermögensgegenstände und Schulden zum Ausgleich herangezogen werden, die fehlerhaft bewertet worden sind. Die Gegenansicht lässt es ausreichen, dass der Posten stille Reserven enthält.
Tz. 56
Unterbewertung liegt demgegenüber vor, wenn Vermögensgegenstände zu niedrig oder Schulden zu hoch bewertet sind. Auch hier sind Ansatzfehler erfasst, obwohl die Vorschrift des § 256 Abs. 5 AktG nur von Bewertungsfehlern spricht. Auch kommt es, wie bei der Überbewertung, auf den Bilanzposten als Ganzen an: der Posten, und nicht nur einzelne Vermögensgegenstände und Schulden, müssen zu niedrig bzw. zu hoch sein, weshalb über- und Unterbewertungen innerhalb eines Postens sich ausgleichen können.
Da Unterbewertungen das Gesellschaftsvermögen nicht gefährden, kommt es hier darauf an, ob die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird. Praktisch relevant geworden sind insbesondere die Fälle des phasenverschobenen Ansatzes von Beteiligungserträgen und eine Unterbewertung, um Gesellschaftern ihre Gewinnansprüche vorzuenthalten (vgl. Kapitel 6 Tz. 39 ff.).
Vorsatz erfordert Kenntnis, dass der Bilanzansatz fehlerhaft ist, wobei dolus eventualis – also für möglich halten und billigendes in Kauf nehmen einer fehlerhaften Bilanzierung – ausreicht. Die Beweislast für den Vorsatz des Bilanzaufstellers oder Bilanzfeststellers trägt, wer sich auf die Unterbewertung beruft. Dieses Vorsatzerfordernis hat praktisch keine Bedeutung, weil Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften nur dann als Bilanzierungsfehler angesehen werden, wenn sie als solche erkennbar waren (subjektiver Fehlerbegriff). Damit ist i. d. R. auch der erforderliche Vorsatz zu bejahen.