Dr. Falk Mylich, Dr. Thilo Schülke
Tz. 42
Eine bisher ebenfalls nicht geklärte Frage ist, welche Anforderungen an die Erkennbarkeit von Verstößen gegen Bilanzierungsvorschriften zu stellen sind, wenn der subjektive Fehlerbegriff auch auf Rechtsfragen angewendet wird. Es geht dann nicht um Fehler bei der Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes, sondern um die Frage, wie eine bestimmte Rechtsvorschrift auszulegen ist. Unternimmt der Kaufmann hier Versuche, die richtige Lösung zu finden, indem er Rechtsrat einholt, stellt sich die Frage, ob die konkret getroffene Bilanzierungsentscheidung auch dann als subjektiv richtig gilt, wenn ein Gericht später anders entscheidet. Anders gewendet: Ist Erkennbarkeit dann nicht mehr gegeben, wenn auch Experten die später gerichtlich für zutreffend gefundene Lösung nicht ermittelt haben?
Tz. 43
Die Thematik wird derzeit im Zusammenhang mit einer möglichen Enthaftung von Geschäftsleitern diskutiert. Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Geschäftsleiterhaftung als reine Innenhaftung ausgestaltet ist. Einmal geht es also um die Verantwortung des Vorstandes gegenüber der Gesellschaft, im Falle der Richtigkeit des Jahresabschlusses geht es aber um Verhalten der Gesellschaft gegenüber dem Rechtsverkehr. Beides sollte nicht unreflektiert vermengt werden. Dieses Argument spricht allerdings mehr gegen die Anwendbarkeit des subjektiven Fehlerbegriffs auf Rechtsfragen als gegen eine Übertragung der Maßstäbe der Geschäftsleiterhaftung. Ist die Entscheidung für eine Anwendbarkeit des subjektiven Fehlerbegriffs mit der wohl herrschenden Meinung gefallen, können auch jene Grundsätze herangezogen werden, nach denen beurteilt wird, ob ein Geschäftsleiter auch dann pflichtwidrig gehandelt hat, wenn er zuvor fachkundigen Rat eingeholt hat.
Tz. 44
Die Tendenz geht dahin, Geschäftsleitern keinen Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens zu machen, wenn sie externen Rechtsrat eingeholt haben. Allerdings wird dabei nach Bedeutung und Komplexität der jeweiligen Rechtsfrage differenziert. Im Zweifel ist ein Experte für das jeweilige Rechtsgebiet zu befragen. Der BGH hat betont, es müsse unabhängiger, also externer Rechtsrat eingeholt werden. Die Literatur hält es nahezu geschlossen für ausreichend, wenn die eigene Rechtsabteilung befragt wird.
Der erteilte Rat ist auf seine Schlüssigkeit, insbesondere auf Widersprüche und Begründungslücken zu überprüfen und ggf. ist eine zweite Meinung einzuholen. Gefälligkeitsgutachten müssen außer Acht bleiben. Eine herrschende Meinung ist i.d.R zu beachten. Auf dieser Grundlage muss sich der Verantwortliche ein eigenes Urteil bilden. Ist die Lage danach unklar und eine Tendenz nicht erkennbar, darf der Verantwortliche auch die für das Unternehmen günstigere Bilanzierungsentscheidung treffen. Dass die Grenze des subjektiv Richtigen erst dann erreicht sein soll, wenn die gewählte Rechtsauffassung unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, erscheint hingegen zweifelhaft; das Willkürverbot – denn darauf liefe die These hinaus – als einzige Grenze bei unklarer Rechtslage zu betrachten, ist mit den Bilanzierungszwecken unvereinbar.