Prof. Dr. Frank Peter Schuster
Tz. 23
Umstritten ist (abgesehen vom Fall des § 331 Nr. 3 HGB), ob der Schutzbereich von § 331 HGB auch KapGes ausländischer Rechtsform erfasst. Entsprechende Fragestellungen treten nach zwei Entscheidungen des EuGH auch bei ausschließlicher Geschäftstätigkeit im Inland auf. Praktisch wichtigster Anwendungsfall ist bisher die englische Private Company Limited by Shares (Ltd.), deren Gründung an niedrige Voraussetzungen (kein Haftungskapital) gebunden ist.
Tz. 24
Eine ausländische Gesellschaft ist buchführungs- und jahresabschlusspflichtig, wenn sie ein Handelsgewerbe betreibt, §§ 6 Abs. 1 i. V. m. 238, 242 HGB (vgl. Kapitel 1 Tz. 171 ff.). Lediglich die Fiktionen der § 3 AktG und § 13 Abs. 3 GmbHG greifen wegen des Analogieverbotes aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Das "Wie" der Rechnungslegung muss sich dabei allerdings nach dem ausländischen Recht richten: Auch für eine faktisch in Deutschland ansässige Ltd. wäre es eine erhöhte Belastung gegenüber reinen Inlandsgesellschaften, wenn sie nach zweierlei Recht Bücher führen und bilanzieren müsste. Dies wäre angesichts der Tatsache, dass die nationalen Bilanzierungsvorschriften bereits durch europäisches Richtlinienrecht (RL 83/349/EWG und RL 84/253/EWG) harmonisiert wurden, im Hinblick auf Art. 49, 54 AEUV (Niederlassungsfreiheit) nicht zu rechtfertigen.
Tz. 25
Für das Strafrecht gelten folgende Überlegungen: Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale (vgl. Tz. 19) können durchaus auch auf eine ausländische Rechtslage Bezug nehmen, ohne dass dies gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Im Insolvenzfall kommt deshalb auch bei einer Gesellschaft ausländischer Rechtsform ggf. § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB zur Anwendung. Der rechtsformspezifische Tatbestand des § 82 GmbHG scheidet hingegen aus, da sich die Vorschrift ausdrücklich auf die (deutsche) GmbH bezieht (die Ltd. ihr aber nur ähnelt). Beim an sich rechtsformneutralen § 331 HGB ergibt sich das Problem, dass der Wortlaut eine Einengung auf bestimmte Pflichtabschlüsse vornimmt. Eine verbreitete Ansicht verneint deshalb de lege lata die Anwendbarkeit von § 331 HGB (unter Verweis auf § 335 HGB). Der Wortlaut zwingt jedenfalls bei der Ltd. nicht zu einer solchen einschränkenden Auslegung, wenn der Jahresabschluss in den annual accounts (übersetzt: Jahresabschlusskonten) eine Entsprechung findet, die sich aus einer Bilanz (balance sheet), einer GuV (profit and loss account) mit Anhang (notes), dem Geschäftsbericht der Direktoren (directors’ report) und dem Prüfungsbericht der Wirtschaftsprüfer (auditors’ report) zusammensetzten. Auch wird der Wortlaut von § 331 HGB nicht überstrapaziert, wenn der Direktor als vertretungsberechtigtes Organ der Ltd. angesehen wird: Jede Ltd. muss nach sec. 154(1) Companies Act 2006 mindestens einen Direktor haben. Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht sind zwar theoretisch recht frei bestimmbar, doch wird diese üblicherweise nach Art. 3 der Mustersatzung vollständig den Geschäftsführern zugewiesen.
Tz. 26
Eine Ahndung nach deutschem Recht (ausländisches Strafrecht findet vor deutschen Gerichten keine Anwendung bzw. allenfalls bei der Prüfung der doppelten Strafbarkeit nach § 7 StGB) setzt zudem die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach den §§ 3 ff. StGB voraus. Hat z. B. der director einer im Inland ansässigen Ltd. bei Erstellung der Abschlüsse (auch) im Inland gehandelt, greift insoweit § 3 i. V. m. § 9 Abs. 1 StGB (ohne dass es auf die Strafbarkeit im Ausland ankäme).