Prof. Dr. Frank Peter Schuster
Tz. 17
Auf das außerstrafrechtliche Bilanzrecht wird weitestgehend durch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale Bezug genommen, was beim Bestimmtheits- und Analogiegebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. Tz. 18 f.), dem intertemporalen Strafanwendungsrecht (vgl. Tz. 20), bei der Zulässigkeit der Fremdrechtsanwendung (vgl. Tz. 25) und vor allem im Rahmen der Irrtumslehre (vgl. Tz. 41 ff.) von Bedeutung ist. Die pauschale Bezeichnung von § 331 HGB als Blankettgesetz ist hingegen ungenau und irreführend.
Tz. 18
Blankettcharakter hat die Vorschrift nur, soweit das "Ob" der Rechnungslegung durch die §§ 238 ff., 264 ff. HGB geregelt und die Reichweite des Tatbestandes durch bestimmte handelsrechtliche Begriffe definiert wird. Die Ausfüllungsnormen sind insoweit in die Strafnorm hineinzulesen, so dass ein den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots entsprechender Tatbestand entsteht. Die blankettausfüllende Norm als Teil der Strafvorschrift und ihre Auslegung müssen sich dann an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen.
Tz. 19
Hinsichtlich des "Wie" der Rechnungslegung sind es aber rechtsnormative Tatbestandsmerkmale, die die Verknüpfung zum vorgelagerten Bilanzrecht herstellen. Diese Merkmale müssen als solche Art. 103 Abs. 2 GG genügen, nicht jedoch die Vorschriften, die der Bewertung (Unrichtigkeit, Verschleierung) vorgelagert sind. Der Täter ist durch das Vorsatzerfordernis (vgl. Tz. 42) ausreichend geschützt. Damit schadet es nicht, dass z. B. die §§ 238 Abs. 1, 239 Abs. 4 Satz 1, 241 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, 243 Abs. 1, 256 HGB auf z. T. ungeschriebene Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB, näher vgl. Kapitel 1, Tz. 84 ff.) verweisen oder § 315a HGB auf die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS, auch wenn diese von einem privat besetzten und privat finanzierten Gremium (International Accounting Standards Board, IASB) stammen (näher vgl. Kapitel 1 Tz. 106 ff.). Die Anerkennung der Standards im sog. Endorsement-Verfahren ist eine sinnvolle, aber trotz Art. 103 Abs. 2 GG keine zwingende Regelung.
Tz. 20
Hinsichtlich des intertemporalen Strafanwendungsrechts gilt folgendes: Wenn es um die Richtigkeit der Darstellung geht, kommt es immer auf das zum Zeitpunkt der Rechnungslegung maßgebliche Recht an (vgl. Tz. 34). Das strafrechtliche Milderungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB kommt auch dann nicht zur Anwendung, wenn bei hypothetischer Anwendung reformierter Rechnungslegungsvorschriften zufälligerweise bestimmte Einträge heute gerade so zu vollziehen wären. Schon der Sache nach werden die Bilanzen schließlich nicht rückwirkend richtig. Das verschleiernde oder irreführende Moment der Handlung bleibt vielmehr erhalten, da die Adressaten darauf vertrauen müssen, dass die zum Zeitpunkt der Rechnungslegung gültigen Maßstäbe angewandt wurden. Dogmatisch ist dieses Ergebnis mit dem fehlenden Blankettcharakter der Verweisung zu begründen (ohne dass es auf § 2 Abs. 4 StGB ankäme). Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn z. B. Bilanzierungspflichten für bestimmte Gesellschaften ganz wegfallen würden. Dies würde einer Entkriminalisierung gleichkommen, da § 331 HGB nur Pflichtabschlüsse betrifft (ggf. greifen dann aber die sonst subsidiären § 82 Abs. 1 GmbHG, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG).