Prof. Dr. Frank Peter Schuster
Tz. 34
Die Verhältnisse einer KapGes sind unrichtig wiedergegeben (Verletzung des Grundsatzes der Bilanzwahrheit), wenn die Darstellung den objektiven Gegebenheiten nicht entspricht, wobei sowohl die Angabe unrichtiger Umstände als auch das Verschweigen von Tatsachen tatbestandsmäßig sein kann. Maßstab sind konkrete Rechnungslegungsnormen und sonstige Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), die verletzt werden, wenn fiktive Posten eingestellt (etwa Aufnahme sicherungsübereigneter Vermögensgegenstände), falsche Bezeichnungen gewählt (aufgelöste stille Reserven als Einnahmen aus laufendem Geschäft), Überbewertungen vorgenommen (etwa bei Warenbeständen, Außenständen, zweifelhafter Forderungen) oder bestimmte Posten (auch Schulden der Gesellschaft) weggelassen werden. Maßgeblich sind die im Zeitpunkt der Rechnungslegung gültigen Regeln (auch im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung, vgl. Tz. 20).
Tz. 35
Die Unrichtigkeit kann sich dabei sowohl aus fehlerhaften Tatsachenbehauptungen als auch aus falschen Schlussfolgerungen ergeben. Tatsachenbehauptungen sind unrichtig, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Auch freiwillige Angaben, etwa im Anhang oder im Lagebericht, können unrichtig sein. Lückenhafte Pflichtangaben haben i. d. R. ebenfalls einen Täuschungseffekt und machen den Abschluss dann unrichtig; bei lückenhaften freiwilligen Angaben gilt dies dagegen nur dann, wenn der Eindruck der Vollständigkeit erweckt wird. Eine Bewertung, Schätzung, Prognose und Beurteilung ist zum einen unrichtig, wenn sie auf unzutreffenden Tatsachen beruht. Zum anderen kann eine Schlussfolgerung auch als solche unrichtig sein. Maßstab sind dabei die §§ 252 ff. HGB, wobei dem Verantwortlichen bei Bewertungs- und Beurteilungsschwierigkeiten ein gewisser Spielraum zuzubilligen ist, der auch ausgeschöpft werden kann. Unrichtig ist eine Schlussfolgerung nur dann, wenn sie unvertretbar ist. Ggf. besteht aber eine Hinweispflicht, wenn Zweifel bestehen oder von herrschenden Bewertungsmethoden abgewichen wird; ansonsten ist die Verschleierungsalternative (vgl. Tz. 37) erfüllt. Wenn sich frühere Prognosen erst aufgrund späterer Erkenntnisse als unhaltbar erweisen, begründet das ebenfalls nicht die Unrichtigkeit.
Tz. 36
Eine weitere, generelle Eingrenzung der Strafbarkeit ist unter Erheblichkeits- und Wesentlichkeitsaspekten vorzunehmen. Dies geschieht in Abgrenzung zu den Ordnungswidrigkeitentatbeständen des § 334 Abs. 1 Nr. 1–6 HGB, die bestimmte Verletzungen von Rechnungslegungsvorschriften erfassen, welche an sich ebenfalls zu einer unrichtigen Wiedergabe von Verhältnissen der KapGes führen. Für die Annahme einer Strafbarkeit nach § 331 Nr. 1 HGB muss die Aussagekraft der Gesamtdarstellung beeinträchtigt sein. Einzelne unwichtige Posten können sich auch in ihrer Gesamtheit zu einem wesentlichen Fehler verdichten. In der zivilrechtlichen Literatur werden quantitative Erheblichkeitsgrenzen diskutiert, wie 10 % vom Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag, 5 % der Bilanzsumme, bei wichtigen Einzelposten 10 % von dieser Position, was allerdings (auch mit Blick auf die Var. 2) nur gewisse Anhaltspunkte liefern kann. Zu eng erscheint der Ansatz, ausschließlich Verstöße zu berücksichtigen, die zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses (etwa nach § 256 AktG) führen, weil im Zivilrecht auch andere Aspekte (Rechtssicherheit) eine Rolle spielen.