Prof. Dr. Heribert Anzinger, Prof. Dr. Nadine Antonakopoulos
Tz. 139
IASB CF.QC5 (2010) gewichtet die qualitativen Anforderungen an den Jahresabschluss und hebt Relevanz und glaubwürdige Darstellung als grundlegend aus den anderen Grundsätzen heraus.
aa) Relevanz (relevance) und Wesentlichkeit (materiality)
Tz. 140
Das Relevanzprinzip (relevance principle) spiegelt den Wesentlichkeitsgrundsatz (materiality), hat aber eine andere Funktion. Es charakterisiert in IASC F.26–28 (1989) und IASB CF.QC6–.10 (2010) konzeptionell, welche Informationen für den Adressatenkreis relevant sind und schützt den Jahresabschluss damit einerseits vor überflüssigen Informationen, die die Aussagefähigkeit des Jahresabschlusses schwächen können. Das Relevanzprinzip gebietet deshalb bei der Konzeption neuer Standards und der Auslegung der bestehenden Standards eine Informationsselektion im Interesse der Verständlichkeit und Lesbarkeit des Jahresabschlusses.
IASC F.26 Satz 2 (1989) fokussiert die Relevanz auf wirtschaftliche Entscheidungen und die Nützlichkeit zur Beurteilung vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Ereignisse. IASB CF.QC6–.10 (2010) setzen das voraus. Relevanz ist sowohl qualitativ als auch quantitativ zu bestimmen. IASC F.27 (1989) stellt klar, dass auch der gegenwärtige Bestand und die Struktur der Vermögenswerte für Prognoseentscheidungen relevant sein können. Und IASC F.28 (1989) beschreibt kasuistisch, auf welche Informationen potenzielle Adressaten im Zeitpunkt der Verabschiedung des Rahmenkonzepts (1989!) besonders wert gelegt haben und was dem IASC 1989 erwähnenswert wichtig erschien. Darüber hinaus hat diese Beschreibung der qualitativen Anforderungen heute allenfalls noch indizielle Bedeutung.
IASC F.43 (1989) und IASB CF.QC17 (2010) reflektieren den Zielkonflikt zwischen Relevanz und Verlässlichkeit bzw. Glaubwürdigkeit bei noch unsicheren und schon überholten Informationen und öffnet damit einerseits das Vollständigkeitsgebot und andererseits das Vorsichtsprinzip der Auslegung zu Gunsten eines zweckgebundenen Ermessens. Zur Verwirklichung der Jahresabschlusszwecke im Interesse der Informationsadressaten kann die zeitnahe Informationsbereitstellung (timeliness) geboten sein oder unterlassen werden.
Tz. 141
Wesentlich sind nach IASC F.30 Satz 1 (1989) und (inhaltsgleich) IASB CF.QC11 (2010) Informationen, wenn ihr Weglassen oder ihre fehlerhafte Darstellung die auf der Basis des Abschlusses getroffenen wirtschaftlichen Entscheidungen der Adressaten beeinflussen könnten (ebenso vgl. IAS 8.5). Das beschreibt IASC F.30 (1989) in den Sätzen 2 und 3 quantitativ, während IASB CF.QC11 (2010) in den Sätzen 2 und 3 erkennen lassen, dass es nicht nur auf quantitative, sondern auch auf qualitative Aspekte ankommt. IAS 1.29 und IAS 1.30 greifen den Gedanken der Wesentlichkeit für den Ausweis und die Zusammenfassung einzelner Bilanzposten auf. IAS 1.31 formuliert für unwesentliche Informationen ein Wahlrecht und eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot. Angabepflichten "brauchen" nicht erfüllt zu werden, wenn die Information nicht wesentlich ist. Das erfordert eine zweistufige Prüfung. In einem ersten Schritt ist zu beurteilen ob die einzelne Information bezogen auf ihren Zweck und deren Nützlichkeit für potenzielle Abschlussadressaten wesentlich ist. In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob der Jahresabschluss, wenn diese Information weggelassen würde, insgesamt noch ein zutreffendes Bild vermittelt. Dieses Wahlrecht kann zu einem Aufnahmeverbot reduziert sein, wenn das Relevanzprinzip eine entsprechende Ausübung des Wahlrechts gebietet.
In der im Dezember 2014 im Rahmen der Disclosure Initiative veröffentlichten Fassung erlaubt IAS 1.31 auch in den Fällen, in denen einzelne Standards Mindestangaben vorschreiben, auf unwesentliche Informationen zu verzichten. Zusätzlich enthält nunmehr IAS 1.30 A (2014) Satz 2 ein ausdrückliches Gebot, unwesentliche Informationen wegzulassen.
Der Wesentlichkeitsgrundsatz wird in IASC F.44 (1989) und IASB CF.QC35-.QC39 (2010) ergänzt durch reflektierende Gedanken über die Abwägung von Nutzen und Kosten (Balance between Benefit and Cost) der qualitativen Anforderungen an den Jahresabschluss und formuliert damit einen Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ohne aber konkrete Folgerungen daraus zu ziehen. Der Wirtschaftlichkeitsgedanke kehrt wieder in IASC F.38 (1989): "Informationen [. . .] müssen in den Grenzen von Wesentlichkeit und Kosten vollständig sein".
bb) Glaubwürdige Darstellung (faithful representation)
Tz. 142
IASC F.33 (1989) konkretisiert das Verlässlichkeitsprinzip in dem Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung (faithful representation) durch ...