Prof. Dr. Heribert Anzinger, Prof. Dr. Nadine Antonakopoulos
Tz. 117
Das Realisationsprinzip ist eine Ausprägung des Vorsichtsprinzips und Kern der Erfolgskonzeption (Gewinndefinition) der handelsrechtlichen GoB. Es stellt einerseits jeden Gewinnausweis unter den Vorbehalt eines Markttests und dient andererseits der Periodenabgrenzung.
In der Bilanz dürfen Gewinne nur ausgewiesen werden, wenn sie in einem Umsatzgeschäft unter Beteiligung eines anderen Marktteilnehmers realisiert worden sind. Das gilt sowohl für den Ansatz als auch für die Bewertung. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die gegenläufigen Interessen verschiedener Marktteilnehmer (Beispiel: Der Verkäufer will einen möglichst hohen Preis erzielen, der Käufer möglichst wenig zahlen) objektivierend wirken und sich eine sichere Bewertung nicht auf der Grundlage einer vermuteten Zahlungsbereitschaft, sondern nur nach verwirklichten Zahlungsströmen vornehmen lässt. Trotzdem kann ein realisationsbegründender anderer Marktteilnehmer auch eine nahestehende Person, z. B. ein verbundenes Unternehmen oder ein Angehöriger sein, selbst wenn mit diesem ein objektivierende Interessengegensatz nur eingeschränkt besteht.
Das Realisationsprinzip findet im Gesetz Ausdruck in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB (inhaltlich entsprechend Art. 6 Abs. 1 Buchst. c Unterbuchst. i Jahresabschlussrichtlinie 2013).
Eine Ausprägung des Realisationsprinzips ist das Anschaffungshöchstwertprinzip (vgl. Kapitel 6). Ausnahmen vom Realisationsprinzip bilden das Wertaufholungsgebot (§ 253 Abs. 5 HGB) und die Bewertung von Finanzinstrumenten im Handelsbestand von Kreditinstituten mit dem beizulegenden Zeitwert abzüglich eines Risikoabschlags (§ 340e Abs. 3 HGB). Eine generelle Ausnahme des Realisationsprinzips für Verluste bildet das Imparitätsprinzip (vgl. Tz. 118).
Realisationszeitpunkt ist bei Austauschgeschäften grundsätzlich die Erbringung der Leistung durch den Sach- oder Dienstleistungsverpflichteten, nicht schon die schuldrechtliche Begründung einer Verpflichtung (vgl. Kapitel 5). Wenn der Anspruch auf die Gegenleistung vor Erfüllung der Sach- oder Dienstleistungsverpflichtung sicher wird (Beispiel: Übergang der Preisgefahr nach § 447 BGB), ist Realisationszeitpunkt dieser frühere Zeitpunkt. Unmaßgeblich ist der Zeitpunkt der Rechnungserteilung oder die Fälligkeit. Dem liegt eine Risikobewertung zu Grunde, nach der allein der schuldrechtliche Anspruch den wirtschaftlichen Erfolg eines Geschäfts noch nicht hinreichend sicher erwarten lässt. Diese Bewertung ergibt sich nicht zwingend aus den Bilanzierungszwecken. Sie entspricht aber einer Verkehrserwartung an die Ausgestaltung des Vorsichtsprinzips.
BEISPIEL
Ansatzrelevante Beispiele für den Realisationszeitpunkt
(zur Bedeutung für die Bewertung vgl. Kapitel 6)