Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 552
Der Schuldenbegriff (liabilities) dient in diesem Kontext als Sammelbegriff für Verbindlichkeiten (financial liabilities), abgegrenzte Schulden (accruals) und Rückstellungen (provisions). Eine Verbindlichkeit ist definiert als eine sichere Schuld, also eine Schuld, die in Bezug auf Grund, Zeitpunkt und Höhe ihres Anfalls keine Unsicherheit aufweist. Dazu zählen z. B. Finanzverbindlichkeiten, Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen oder Kundenanzahlungen, aber auch Lieferantenkredite oder Dividenden (nach gefasstem Ausschüttungsbeschluss). Im Gegensatz dazu stehen abgegrenzte Schulden dem Grunde nach zwar regelmäßig fest. Jedoch besteht bei ihnen im Gegensatz zu den Verbindlichkeiten in Bezug auf Erfüllungszeitpunkt und/oder Höhe ein – wenn auch oft geringes – Restrisiko. Beispiele für abgegrenzte Schulden i. S. d. IAS 37.11 sind Verpflichtungen aus erhaltenen Lieferungen/Leistungen mit noch ausstehender Rechnung, Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern aufgrund rückständigen Urlaubs, Kosten der gesetzlichen Abschlussprüfung oder Verpflichtungen aus Berufsgenossenschaftsbeiträgen. Nach IAS 37.10 werden abgegrenzte Schulden häufig als Teil der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und/oder sonstigen Verbindlichkeiten ausgewiesen. Praxisuntersuchungen zeigen zumindest für deutsche IFRS-Anwender hingegen einen verstärkten Ausweis unter den Rückstellungen. Rückstellungen stellen schließlich die unsicherste Kategorie der Schulden dar, die im Abschluss ausgewiesen wird. IAS 37.10 definiert Rückstellungen als Schulden, die bezüglich ihrer Fälligkeit oder ihrer Höhe ungewiss sind.
Tz. 553
Eine bilanzierungsfähige Schuld liegt nach der Definition des Rahmenkonzepts (CF.4.4 (b)) vor, wenn
- sich ein Unternehmen einer gegenwärtigen Verpflichtung (present obligation) gegenübersieht,
- die aufgrund eines vergangenen Ereignisses (arising from past events) entstanden ist, und
- deren Erfüllung erwartungsgemäß zu einem Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen (outflow of resources embodying economic benefit) führt.
Tz. 554
Liegt eine grundsätzlich bilanzierungsfähige Schuld vor, sind in einem weiteren Schritt die Ansatzkriterien zu prüfen. Nur bei Erfüllung auch der Ansatzkriterien ist eine Schuld in die Bilanz aufzunehmen. Entsprechend erfolgt der Bilanzansatz einer Schuld nach dem Rahmenkonzept nur, wenn (CF.4.46)
- der zukünftige Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen wahrscheinlich (probable) ist und
- der Wert der Schuld verlässlich ermittelt (measured reliably) werden kann.
Wann ein Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen als wahrscheinlich gilt, wird seitens des Rahmenkonzepts nicht näher festgelegt. Eine derartige Konkretisierung ist jedoch insbesondere im internationalen Kontext von wesentlicher Bedeutung, um ein einheitliches Verständnis des Begriffs zu erreichen. Entsprechend hat sich in der Literatur – unter Rückgriff auf die Definition in IAS 37 – eine Standardauslegung für den Wahrscheinlichkeitsbegriff herausgebildet. Danach ist ein Bilanzansatz angezeigt, wenn eher von einem Abfluss wirtschaftlichen Nutzens ausgegangen werden kann als nicht (more likely than not), d. h. wenn die Wahrscheinlichkeit des Nutzenabflusses > 50 % ist.