Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 60
Verbindlichkeiten sind rechtliche oder faktische, dem Grund und der Höhe nach gewisse Verpflichtungen des Kaufmanns zur Leistung an einen Dritten, die ihn auch wirtschaftlich belasten. Mittel für künftige Belastungen in eigener Sache, etwa für künftige Investitionen, können teilweise als Aufwandsrückstellungen passiviert werden und stellen im Übrigen Rücklagen, also Eigenkapital dar. Eine Verpflichtung liegt vor, wenn sich der Kaufmann der Inanspruchnahme aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Anders als bei den Aktiva sind folglich aufgrund des Imparitätsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) auch rechtlich nicht bestehende Verpflichtungen zu berücksichtigen. Ist die Inanspruchnahme nach Grund oder Höhe unsicher, kommt eine Passivierung als Rückstellung in Betracht. Fehlen Anhaltspunkte, die eine vernünftige Schätzung der künftigen wirtschaftlichen Belastung ermöglichen, ist kein Bilanzansatz, sondern lediglich eine Erläuterung im Anhang erforderlich (§ 285 Nr. 3a HGB).
Tz. 61
An einer rechtlichen Verpflichtung fehlt es nicht schon, wenn die Verbindlichkeit bestritten wird. Ggf. genügt aber der Ansatz einer Rückstellung. Es ist zu differenzieren:
- Bestand eine Verbindlichkeit und wird lediglich ihr Erlöschen behauptet, ist weiterhin eine Verbindlichkeit zu buchen. Dabei ist unerheblich, ob das Erlöschen ex-nunc (Erfüllung, Rücktritt) oder ex-tunc (Anfechtung) wirkt. Dasselbe gilt, wenn Nichtigkeit wegen Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) behauptet wird.
- Berühmt sich der Gläubiger einer Forderung, etwa aus unerlaubter Handlung, hängt von der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ab, ob eine Rückstellung oder eine Verbindlichkeit zu passivieren ist.
Tz. 62
Rein faktische Verpflichtungen sind zu passivieren, wenn sie eine wirtschaftliche Belastung darstellen. Das ist der Fall, wenn sich der Kaufmann der Inanspruchnahme nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht entziehen kann, obwohl die Forderung nicht einklagbar ist.
BEISPIEL
- Gewährleistung aus Kulanz
- Erfüllung bereits verjährter Forderungen
- Versprochene Schmiergelder dürfen nicht passiviert werden. Auf sie besteht ebenfalls kein Anspruch, allerdings beruht dies auf einem Verstoß der Abmachung gegen ein Verbotsgesetz (§ 134 BGB). Diese Rechtswidrigkeit der Absprache schlägt auf die Bilanz durch.