Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 294
Geht das Eigentum an einem Leasinggegenstand zum Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer über, liegt infolgedessen ein Finanzierungsleasing vor. Räumt der Leasinggeber dem Leasingnehmer zum Ende des Leasingverhältnisses lediglich eine solche Kaufoption ein, d. h. der Leasingnehmer hat das Recht den Leasinggegenstand zu einem bereits zu Beginn des Leasingverhältnisses vereinbarten Kaufpreis nach Ablauf der Grundmietzeit zu erwerben, muss beurteilt werden, und zwar ebenfalls zu Beginn des Leasingverhältnisses, ob die Ausübung der Option günstig ist. Finanzierungsleasing liegt gemäß IAS 17.10(b) vor, wenn
- der Preis der Kaufoption ausreichend (sufficiently) weit unter dem dann zu erwartenden beizulegenden Zeitwert (fair value) liegt und
- somit zu Beginn der Leasingbeziehung die Ausübung der Option hinreichend wahrscheinlich ist.
Tz. 295
Ein rationaler Leasingnehmer wird sich für den Erwerb entscheiden, wenn eine positive Differenz zwischen dem Ausübungspreis der Option und dem Wert des Leasingobjekts besteht, d. h. auch die wahrscheinliche Ausübung der Option bejaht wird. In der Literatur wird von einer ausreichend großen (positiven) Differenz zwischen Optionsausübungspreis und Zeitwert des Leasinggegenstandes ausgegangen, wenn der Ausübungspreis um mehr als 20 % unter dem voraussichtlichen künftigen Zeitwert des Leasingobjekts liegt. Schwierigkeiten ergeben sich aber u. U. schon bei der Beurteilung, ob der dem Leasingnehmer zu Beginn der Vereinbarung angebotene Kaufpreis deutlich niedriger ist, als der beizulegende Zeitwert des Leasinggegenstands im Optionsausübungszeitpunkt. Künftige Schätzungen des beizulegenden Zeitwerts sind stets mit Unsicherheit behaftet. Zudem können Umstände oder Zwänge, z. B. Vertragsstrafen, denen der Leasingnehmer bei Nichtausüben der Option ausgesetzt wird, zu einer Klassifizierung als finance lease führen. Der wirtschaftliche Zwang, die Vertragsstrafen durch die Ausübung der Option zu umgehen, wird als günstiger eingestuft, als vereinbarte Strafzahlungen tatsächlich zu bezahlen.
Tz. 296
Ein Ausübungspreis, der deutlich niedriger ist als der beizulegende Zeitwert des Leasingobjekts, suggeriert nicht nur eine hinreichend hohe Ausübungswahrscheinlichkeit, sondern zeigt auch an, dass die Restwertrisiken alleine beim Leasinggeber und die Restwertchancen allein beim Leasingnehmer liegen. Das risks and rewards-Konzept von IAS 17.11 und 17.8 wird hierdurch betont.
Tz. 297
Das Nutzungsdauerkriterium stellt auf das Verhältnis der Mindestvertragslaufzeit zur wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Leasinggegenstands ab. Umfasst die Mindestvertragslaufzeit den "überwiegenden Teil" (major part) der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Leasingobjekts, ist das Nutzungsdauerkriterium nach IFRS erfüllt. Abgestellt wird hier explizit nicht auf die physische, sondern die wirtschaftliche Nutzbarkeit eines Vermögenswerts. Aufgrund von neuen Technologien oder gesetzlichen Rahmenbedingungen kann ein Leasinggegenstand auch ggf. vor Ablauf seines "Haltbarkeitsdatums" wirtschaftlich nicht mehr von Nutzen sein. IAS 17 geht nicht näher auf die Bedeutung der Begrifflichkeit "major part" ein. Eine Orientierung an den Leasingvorgaben der US-GAAP gem. IAS 8.12 sowie die herrschende Meinung legen nahe, dass die Mindestvertragslaufzeit mindestens 75 % der wirtschaftlichen Nutzungsdauer eines Leasingobjekts betragen muss, wenn das Nutzungsdauerkriterium nach IFRS erfüllt sein soll. Aber auch die wörtliche Auslegung des überwiegenden Teils der Nutzungsdauer, d. h. mehr als 50 % derselben, wird z. T. analog zum aufgehobenen SIC 12 als angemessen erachtet. Eine derart weitgehende Auslegung des Nutzungsdauerkriteriums scheint allerdings nicht mit dem Gedanken des wirtschaftlichen Eigentums i. S. d. Übergangs der wesentlichen Chancen und Risiken vereinbar zu sein.
Tz. 298
Voraussetzung für die Anwendung des Nutzungsdauerkriteriums ist die Bestimmung der beiden Komponenten, die zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden sollen. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer umfasst den zum Anfang der Leasingperiode noch verbleibenden Zeitraum, über den ein Vermögenswert voraussichtlich wirtschaftlich nutzbar ist. Aufgrund von neuen Technologien oder gesetzlichen Rahmenbedingungen kann ein Leasinggegenstand auch ggf. vor Ablauf seines "Haltbarkeitsdatums" wirtschaftlich nicht mehr von Nutzen sein. In Abgrenzung zur wirtschaftlichen Nutzungsdauer interpretiert IAS 17.4 die Nutzungsdauer als den geschätzten verbleibenden Zeitraum ab dem Anfang der Laufzeit des Leasingverhältnisses bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Unternehmen den wirtschaftlichen Nutzen des Leasingobjekts voraussichtlich verbraucht hat. Bei der Bestimmung dieses Zeitraums ist das Ende der Laufzeit des Leasingverhältnisses irrelevant.
Tz. 299
Die Mindestvertragslaufzeit aus der Perspektive des Leasingnehmers zu Anfang des Leasinggeschäfts umfasst die unkündbare Grundmietzeit sowie alle Zeiträume, für die eine günstige Mietverlän...