Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 595
Wie bereits im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich des IAS 37 (vgl. Tz. 539) dargestellt, unterliegen auch Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften der Passivierungspflicht nach IAS 37. Dabei ist es essenziell, dass es sich um einen verlustträchtigen, d. h. einen belastenden Vertrag (onerous contract) handelt, der einen Verpflichtungsüberschuss für das Unternehmen generiert (IAS 37.67).
Tz. 596
Belastende Verträge können sowohl Beschaffungs- als auch Absatzverträge sein sowie aus Dauerschuldverhältnissen – z. B. aus Subleasingverhältnissen, bei denen die Untermieterträge den eigenen Mietaufwand unterschreiten – resultieren. Bei Beschaffungsverträgen ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund der insgesamt absatzmarktorientierten Betrachtungsweise eine Belastung aus dem Vertrag nur dann zu einer Drohverlustrückstellung führen kann, wenn durch den späteren Verkauf der Waren bzw. etwaiger Erzeugnisse oder Leistungen, in die die beschafften Vermögenswerte einfließen, nicht mindestens die ursprünglich aufgewendeten Anschaffungs- oder Herstellungskosten erzielt werden. Eine Rückstellungsbildung für einen voraussichtlich niedrigeren Gewinn, der aus sich ändernden Marktverhältnissen resultiert, scheidet dagegen aus. Adler/Düring/Schmaltz weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Falle von Beschaffungsgeschäften zudem die zu erwartende Gegenleistung ggf. nicht messbar ist und in diesem Fall eine Rückstellungsbildung mangels verlässlicher Bewertbarkeit (IAS 37.14(c)) nicht erfolgen kann.
Tz. 597
IAS 37.10 und 68 definieren einen belastenden Vertrag als Vertrag, bei dem die unvermeidbaren Kosten (unavoidable costs) zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Vertrag den erwarteten wirtschaftlichen Nutzen übersteigen. Unter den unvermeidbaren Kosten ist der Betrag zu verstehen, der dem Unternehmen im Zusammenhang mit dem Vertrag – je nachdem, ob das Unternehmen den Vertrag erfüllt oder aus diesem aussteigt – mindestens entsteht. Entsprechend handelt es sich dabei um den niedrigeren Betrag aus
- den Kosten der Vertragserfüllung und
- den Kosten der Nichterfüllung, d. h. etwaigen Entschädigungszahlungen oder Strafgeldern.
Kann ein Vertrag demnach ohne rechtliche Folgen (z. B. eine Konventionalstrafe) vom Unternehmen gekündigt werden, sind die Kosten der Nichterfüllung gleich Null, weshalb auch eine Rückstellungsbildung nicht in Frage kommt.
Tz. 598
Hinsichtlich des Umfangs der unvermeidbaren Kosten ist nach h. M. eine produktionsbezogene Vollkostenbetrachtung vorzunehmen, d. h. neben den Einzelkosten sind auch die aktivierungspflichtigen produktionsbezogenen Gemeinkosten zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise ist zum einen konsistent mit der in IAS 11.36 i. V. m. IAS 11.16 verankerten Vollkostenbetrachtung (vgl. Kapitel 9), zum anderen steht sie im Einklang mit den bewertungstechnischen Vorgaben des IAS 2.10 ff. zur Bemessung der Herstellungskosten (vgl. Kapitel 6 Tz. 269).
Diskussionswürdig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie eng der Saldierungsbereich in diesem Kontext zu verstehen ist. So kann im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auch eine Saldierung eines Verpflichtungsüberschusses aus einem Vertrag mit den Ertragsüberschüssen aus einem oder mehreren anderen Verträgen in Betracht kommen. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn ein Unternehmen ein Verlustgeschäft bewusst eingeht, um damit im Rahmen anderer Geschäfte einen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen und den Verlust zu kompensieren. In diesen Fällen kann eine Rückstellungsbildung unterbleiben, sofern die Verträge wirtschaftlich zusammenhängen und die Kompensation des Verpflichtungsüberschusses nicht durch eindeutige Hinweise hierauf widerlegt wird.
Tz. 599
Nach IAS 37.69 geht eine Wertminderung der mit dem Vertrag verbundenen Vermögenswerte nach IAS 36 der Bildung einer Drohverlustrückstellung vor. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass IAS 36.2 bestimmte Sachverhalte von der Anwendung des IAS 36 ausschließt, so beispielsweise das Vorratsvermögen nach IAS 2 oder langfristige Vermögenswerte, die gem. IFRS 5 als zur Veräußerung gehalten klassifiziert werden (vgl. Kapitel 6 Tz. 219). In der Literatur wird dieser Ausschluss als redaktionelle Ungenauigkeit ausgelegt, so dass auch in diesen Fällen – in Übereinstimmung mit den sachlichen Regelungen der jeweiligen Standards – von einem entsprechenden Vorrang der Wertminderung gegenüber der Rückstellungsbildung auszugehen ist.