Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 44
Forderungen sowie andere Finanzwerte (§ 266 Abs. 2 A.III. HGB) zählen bilanzrechtlich zu den materiellen Vermögensgegenständen. Problematisch ist bei Forderungen aber regelmäßig der Zeitpunkt, ab dem sie angesetzt werden dürfen. Die Forderung muss rechtlich entstanden sein und noch bestehen, aber nicht fällig sein.
ff1) Antizipierte Forderungen
Tz. 45
Der Ansatz antizipierter Forderungen wird zwar in einigen Judikaten und von Teilen der Literatur ausnahmsweise für möglich gehalten, wenn ihre Entstehung nach dem Realisationsprinzip hinreichend sicher erscheint, ist aber abzulehnen. Denn nicht entstandene Forderungen haben auch kein hinreichendes Schuldendeckungspotenzial. Der von der Gegenmeinung geführte Hinweis auf § 268 Abs. 4 Satz 2 HGB überzeugt nicht. Diese Norm setzt Art. 18 der 4. RL (EU-Bilanzrichtlinie a. F.) um und verlangt eine Anhangangabe für sonstige Forderungen, die rechtlich noch nicht entstanden sind. Indes sollte damit lediglich für Rechtssysteme mit einer weitgehenderen Ansatzkonzeption als der des HGB sichergestellt werden, dass unsichere Forderungen als solche benannt werden. Auch die Begründung zum BiRiLiG lässt keinen anderen Schluss zu. Zurecht gehen die Kommentatoren zu § 268 Abs. 4 Satz 2 HGB daher davon aus, die Norm habe im deutschen Recht kaum einen Anwendungsfall oder treten dafür ein, für die Anhangangabe statt auf die rechtliche Entstehung auf die Fälligkeit der Forderung abzustellen. Die neue EU-Bilanzrichtlinie enthält diese Regelung nicht mehr, sondern spricht nur noch davon, dass Rechnungsabgrenzungsposten und Forderungen mit "einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr" gesondert auszuweisen sind.
ff2) Phasengleiche Aktivierung von Dividendenansprüchen
Tz. 46
Gesetzgeberische Konzeption seit BilRUG
Besonders diskussionsbedürftig war lange, ob Dividendenansprüche phasengleich, nämlich für das Geschäftsjahr zu aktivieren sind, in dem sie wirtschaftlich entstanden sind. Denn rechtlich entstehen diese Ansprüche erst im Folgejahr, wenn der Jahresabschluss festgestellt ist und ein Gewinnverwendungsbeschluss vorliegt.
BEISPIEL
Die M-GmbH ist Alleingesellschafterin der T-GmbH, beide haben den Bilanzstichtag 31.12. Angenommen, der für den 31.12. ermittelte Jahresüberschuss im Geschäftsjahr X0 beträgt 100, so gilt doch: Auch wenn die hinter beiden Gesellschaften stehenden Personen identisch sind und insofern praktisch schon feststeht, dass die T-GmbH ihre Gewinne an die M-GmbH abführen soll, besteht ein Anspruch der M-GmbH auf diesen Überschuss erst, wenn ein entsprechender wirksamer Gewinnverwendungsbeschluss vorliegt. Der kann aber erst im Geschäftsjahr X1 getroffen werden, sodass der Anspruch erst im Geschäftsjahr X1 entsteht.
Tz. 47
Mit dem BilRUG hat der Gesetzgeber diese Diskussion entschärft, wenn nicht sogar beendet. Zugleich hat er eine Situation geschaffen, die im Konzernzusammenhang zu neuen Problemen führt: Die zu erwartende Forderung der Mutter gegen die Tochter ist in der Bilanz der Mutter zu aktivieren, dieser Betrag darf jedoch nicht ausgeschüttet werden, bis er der Mutter tatsächlich zugeflossen ist. Dies ergibt sich aus folgendem:
Aus § 272 Abs. 5 HGB folgt implizit, dass die Forderung gegen das verbundene Unternehmen anzusetzen ist. Denn nach dieser Vorschrift darf ein auf die Beteiligung entfallender Jahresgewinn des Tochterunternehmens nur ausgeschüttet werden, wenn er tatsächlich eingegangen ist oder ein Anspruch auf ihn besteht. Durch diese Ausschüttungssperre bleibt der Ansatz in der Bilanz bis zu diesem Zeitpunkt erfolgsneutral. Der Gesetzgeber setzt mit der Bestimmung die phasengleiche Aktivierbarkeit von Dividendenansprüchen logisch voraus. Dies entspricht Art. 9 der EU-Bilanzrichtlinie. Die Praxis wird dem für die Handelsbilanz folgen und den künftigen Anspruch – wie schon bisher – in der Bilanz aktivieren.
Tz. 48
Kritik aufgrund praktischer Folgen
Die Ausschüttungssperre führt zu praktisch oft unerwünschten Folgen: Im mehrstufigen Konzern können die Gewinne nur dann an die Konzernobergesellschaft oder die Konzernmutter durchgebucht und in ihrer Bilanz dargestellt werden, wenn die Untergesellschaft, um deren (künftigen) Gewinn es geht, genügend frei verfügbare Rücklagen hat, aus denen sie den erwarteten Betrag an die Gesellschafterin ausschütten kann. Dadurch droht sich eine Problematik zu verschärfen, die bereits vor der Neuregelung bestand: dass Gesellschafter der Konzernobergesellschaft "ausgehu...