Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
aa) Wirtschaftliche Betrachtungsweise
Tz. 531
Nicht alle Regelungen der jüngst verabschiedeten EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU (EU-RL 2013) müssen ins nationale Recht transformiert werden. So betont die EU-Bilanzrichtlinie 2013 insbesondere die Grundsätze der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und Wesentlichkeit (Art. 6 Abs. 1(h) und Abs. 1(j)). In das BilRUG wurden weder der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise noch der Grundsatz der Wesentlichkeit übernommen. Aus welchem Grund der deutsche Gesetzgeber an dieser Stelle von dem Mitgliedstaatenwahlrecht kein Gebrauch machte, ist weder im Referentenentwurf oder Regierungsentwurf noch im eigentlichen Gesetz begründet. Eine Übernahme erschiene jedoch insofern nicht notwendig als das die kodifizierten und nicht kodifizierten GoB bereits der wirtschaftlichen Betrachtungsweise unterliegen.
Insbesondere im Rahmen der Passivierung ungewisser Verpflichtungen aufgrund wirtschaftlicher Verursachung erscheint diese Argumentation schlüssig. So bestimmt der frühere Zeitpunkt aus rechtlicher Entstehung und wirtschaftlicher Verursachung den Zeitpunkt der Rückstellungsbildung (vgl. Tz. 480). Die Regelungen zum Passivierungszeitpunkt aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise erfahren somit auch ohne Umsetzung der EU-Bilanzrichtlinie 2013 im Wege des BilRUG implizite Bestätigung.
bb) Latente Steuern bei Personenhandelsgesellschaften
Tz. 532
Die Steuerlatenzierungsregelungen gelten nur für Kapitalgesellschaften, KapCo-Gesellschaften i. S. v. § 264a Abs. 1 HGB und die dem PublG unterliegenden Unternehmen (§ 5 Abs. 1 PublG). Bestimmte andere Unternehmen (Einzelunternehmen, u. U. Personengesellschaften und kleine Kapitalgesellschaften) unterliegen einer Befreiung. Trotz Befreiung können die Vorgaben zur Steuerlatenzierung gemäß § 274 HGB freiwillig angewendet werden.
Tz. 533
Die Befreiung von der Pflicht zur Rückstellungsbilanzierung läuft allerdings ins Leere, wenn die allgemeinen Rückstellungskriterien des § 249 HGB erfüllt sind. In diesen Fällen besteht eine Pflichtrückstellung (vgl. Kapitel 8 Tz. 12 ff.). Andere Auffassungen verneinen eine Rückstellungsbildung mangels wirtschaftlicher Verursachung bzw. rechtlicher Entstehung oder unterscheiden je nach Einzelfall (vgl. Kapitel 8 Tz. 13 f.). Die verschiedenen Auffassungen führen bis zur Klärung durch den Gesetzgeber zu einer weitgehend uneinheitlichen Bilanzierungspraxis. Leider wurde weder mit dem Entwurf noch mit der finalen Version des BilRUG die Chance einer Klarstellung für Personenhandelsgesellschaften noch nicht aufgegriffen. Aufgrund der geringen Dynamik bei der Änderung handelsrechtlicher Regelungen ist eine baldige Anpassung kaum zu erwarten.