Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 247
Der Standardsetzer hat die Entwicklung von Vorschriften zu Ansatz und Bewertung von Versicherungsverträgen in zwei Phasen aufgeteilt. In seiner derzeit gültigen Fassung ist IFRS 4 als Übergangsstandard mit vergleichsweise unpräzisen Regelungen zu begreifen (Phase 1). Vor diesem Hintergrund können die Bilanzierenden ihre bisherigen – aus nationalem Recht abgeleiteten – Bilanzierungspraktiken weitestgehend fortführen, insoweit diese nicht im Widerspruch zu bestehenden IFRS stehen. Dies betrifft insbes. auch den Bilanzansatz und die Bewertung. Zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit und ein Mindestmaß an Transparenz sollen durch erweiterte Anhangangaben zu Bilanzposten und künftigen Zahlungsströmen aus Versicherungsverträgen erreicht werden.
Auf die Übergangsregelungen der Phase 1 soll ein zukünftiger Standard folgen. Dieser derzeit in der Entwicklung befindliche Nachfolgestandard (Phase 2) soll die Bilanzierung von Versicherungsverträgen umfassend und präzise regeln, um die angestrebte Vereinheitlichung der Bilanzierungspraktiken zu erreichen.
Tz. 248
Die Zielsetzung des IFRS 4 besteht in der Normierung der Rechnungslegung für Versicherungsverträge bei sämtlichen Unternehmen, die Versicherungsverträge anbieten oder eingehen. Mit Blick auf die 2-Phasen-Aufteilung und den derzeitigen Status als Übergangsstandard sollen die bestehenden Regelungen zumindest für ein Mindestmaß an Transparenz und Vergleichbarkeit sorgen, damit die Jahresabschlussadressaten aus der Bilanz und dem Anhang ein Verständnis für Beträge, Zeitpunkte und Unsicherheiten künftiger Zahlungsüberschüsse aus Versicherungsverträgen erlangen können.
Tz. 249
Der Anwendungsbereich des IFRS 4 erstreckt sich auf sämtliche von einem Unternehmen als Versicherer abgeschlossene Versicherungs- und Rückversicherungsverträge. Abgedeckt wird außerdem die passive Rückversicherung (IFRS 4.2(a)). Der Standard gilt nicht für andere Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Versicherers, wie zum Beispiel finanzielle Vermögenswerte und finanzielle Verbindlichkeiten im Anwendungsbereich von IAS 39. Nicht anwendbar ist IFRS 4 weiterhin bei der Rechnungslegung des Versicherungsnehmers. Faktisch weist IFRS 4 somit eine branchenspezifische Ausrichtung auf.
Der Anwendungsbereich des IFRS 4 umfasst auch Finanzinstrumente, die eine ermessensabhängige Überschussbeteiligung aufweisen (IFRS 4.2(b)).
Nach IFRS 4.5 ist es nicht von Relevanz, ob der Bilanzierende für rechtliche Zwecke oder für Aufsichtszwecke als Versicherer anzusehen ist.
IFRS 4 ist auf Berichtsperioden anzuwenden, die am oder nach dem 1. Januar 2005 beginnen.
Tz. 250
Unter einem Versicherungsvertrag ist gemäß IFRS 4.Anhang A ein Vertrag zu verstehen, durch den es zur Übernahme eines signifikanten Versicherungsrisikos durch den Versicherungsgeber vom Versicherungsnehmer kommt und in dem vereinbart wird, dass der Versicherungsnehmer dem Versicherungsgeber bei Eintritt eines spezifizierten, den Versicherungsnehmer nachteilig betreffenden ungewissen Ereignisses eine Entschädigung leistet.
Das Versicherungsrisiko stellt ein vom Finanzrisiko abweichendes Risiko dar, das vom Versicherungsnehmer auf den Versicherungsgeber übertragen wird. Das Finanzrisiko ist definiert als Risiko von möglichen künftigen Änderungen von festgelegten Zinssätzen, Wertpapierkursen, Rohstoffpreisen, Wechselkursen, Preis- oder Zinsindizes, Bonitätsstufen, Kreditindizes oder anderen Variablen.
Ob ein Versicherungsrisiko als signifikant eingestuft werden kann, hat der Versicherungsgeber für jeden einzelnen Vertrag und ohne Bezugnahme auf die Wesentlichkeit des Abschlusses zu beurteilen (IFRS 4.B25).
Tz. 251
Wurde ein Vertrag einmal als Versicherungsvertrag eingestuft, bleibt diese Klassifizierung bis zum Zeitpunkt der Aufhebung oder des Erlöschens aller aus diesem Vertrag resultierenden Rechte und Verpflichtungen bestehen (IFRS 4.B30).
IFRS 4.B18 enthält eine beispielhafte Auflistung von Versicherungsverträgen:
- Diebstahl- oder Sachversicherung
- Produkthaftpflicht-, Berufshaftpflicht-, allgemeine Haftpflicht- oder Rechtsschutzversicherung
- Risikolebensversicherung
- Bürgschaften, Kautionsversicherungen, Gewährleistungsbürgschaften und Bietungsbürgschaften
- Wohngebäudeversicherungen
In Abgrenzung hierzu enthält IFRS 4.B19 Bespiele für Verträge, die nicht als Versicherungsverträge einzustufen sind.
Tz. 252
Der Standardsetzer verweist in IFRS 4.7 bezüglich eingebetteter Derivate auf die Vorgaben zur bilanziellen Abbildung von Finanzinstrumenten (noch IAS 39). Dieser schreibt vor, dass einige in Finanzinstrumente eingebettete Derivate von ihrem Basisvertrag abzutrennen, zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten und etwaige Wertänderungen erfolgswirksam zu vereinnahmen sind. Dies hat auch für in Versicherungsverträge eingebettete Derivate Gültigkeit, sofern das eingebettete Derivat nicht selbst einen Versicherungsvertrag verkörpert.
Anhand der Definition des IAS 39.9 ist zu prüfen, ob ein eingebettetes Derivat vorliegt. Eine exemplaris...