Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 11
Angesprochen sind hier Umwandlungen, insbesondere Verschmelzungen, und Anteilsübertragungen in der juristischen Sekunde zwischen zwei Geschäftsjahren ("Mitternachtsgeschäfte"). In der Praxis wird der Übertragungszeitpunkt mitunter auf den Stichtag, 24:00 Uhr gelegt. Teilweise wird stattdessen das Datum konkret angegeben, wobei aber verschiedene Schreibweisen möglich sind:
- Variante 1: 31.12., 24:00 Uhr
- Variante 2: 01.01., 0:00 Uhr
- Variante 3: 31.12., 24:00 Uhr/01.01., 0:00 Uhr
Rein tatsächlich handelt es sich bei dem Zeitpunkt der Vermögensübertragung immer um dieselbe Sekunde. Fraglich ist jedoch, welchem Geschäftsjahr der Übertragungsakt auf Seiten des Veräußerers und des Erwerbers jeweils zuzuordnen ist, wenn Stichtag für Veräußerer und Erwerber der 31.12. ist. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Regelmäßig wird sich aus den Umständen ergeben, dass die Parteien den Willen hatten, den Veräußerungsvorgang auf den letzten Moment des alten Geschäftsjahres zu legen, den Erwerbsvorgang hingegen auf den ersten Moment des neuen Geschäftsjahres. Der Veräußerer muss daher den Vermögensabgang im alten Geschäftsjahr erfassen, der Erwerber im neuen. Die Schlussbilanz des Veräußerers weist den Vermögensgegenstand daher nicht mehr aus, die GuV zeigt wertmäßig den Abgang. Die Eröffnungsbilanz des Erwerbers zeigt den Vermögensgegenstand nicht; er wird am 01.01. als Zugang buchhalterisch erfasst, erscheint aber erst in der Bilanz des neuen Geschäftsjahres. Konsequenz: der Vermögensgegenstand ist faktisch zum Stichtag, auf den die Transaktion stattfindet, in keiner Bilanz sichtbar; allerdings ist der Vorgang gem. § 284 Abs. 3 HGB im Anhang anzugeben.
BEISPIEL
Die A-GmbH veräußert ihre Beteiligung an der X-GmbH an die B-AG. Als Übertragungszeitpunkt wird der 31.12.2015, 24:00 Uhr/01.01.2016, 0:00 Uhr festgelegt. Wird wie vorgeschlagen bilanziert ist die Beteiligung zuletzt bilanziell sichtbar in der Bilanz der A-GmbH zum 31.12.2014. In der Bilanz zum 31.12.2015 weisen weder die A-GmbH noch die B-AG die Beteiligung aus. In der Bilanz zum 31.12.2016 ist die Beteiligung in der Bilanz der B-AG sichtbar.
Teilweise wird als Ausnahme zum Grundsatz der Bilanzkontinuität vorgeschlagen, dass der Erwerber die Beteiligung in seine "Eröffnungsbilanz" aufnimmt. Eine jährliche Eröffnungsbilanz ist gesetzlich eigentlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben (Umkehrschluss aus § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB), wird aber von § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB vorausgesetzt. Eine Darstellung der Beteiligung in der Eröffnungsbilanz durch den Erwerber überzeugt jedoch nicht. Unabhängig davon, ob ein solches Rechenwerk gesondert geführt wird, ist es jedenfalls unzulässig, den Erwerb des Vermögensgegenstandes auf Bestandskonten in der Bilanz zu erfassen. Denn die Identität von Eröffnungs- und Schlussbilanz ist dann nicht mehr gegeben. Worin der Grund liegen soll, der eine Ausnahme nach § 252 Abs. 2 HGB rechtfertigt, ist angesichts der erforderlichen Anhangangabe nicht ersichtlich.
Tz. 12
Insolvenz-Eröffungsbilanz
Diskutiert wird teilweise, ob eine Ausnahme vom Grundsatz der Bilanzidentität auch für den Fall der letzten Schlussbilanz eines werbenden und Liquidationsbilanz eines "sterbenden" Unternehmens gilt. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn die Liquidation Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Gem. § 155 Abs. 2 InsO beginnt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr. Überwiegend wird vertreten, dass die Insolvenz-Eröffnungsbilanz mit der Schlussbilanz übereinstimmen müsse. Teilweise wird hingegen dafür eingetreten, die insolvenzrechtlichen Besonderheiten in der Eröffnungsbilanz zu berücksichtigen und damit eine Abweichung beider Rechenwerke zuzulassen. Dies würde eine Ausnahme vom Grundsatz der Bilanzidentität bedeuten. Zutreffend erscheint es unter handelsbilanzrechtlichen Gesichtspunkten, in dieser Konstellation keine Ausnahme vom Grundsatz der Bilanzidentität zu machen. Vielmehr sind die Änderungen, die mit der Insolvenz einhergehen, regelmäßig bereits in der Schlussbilanz zu berücksichtigen. Das betrifft insbesondere Abwertungen infolge einer negativen bilanzrechtlichen Fortführungsprognose und die – teilweise für erforderlich gehaltene – Umgliederung der Bilanz, also die ggf. erforderliche Erfassung von Anlagevermögen als Umlaufvermögen (dazu näher unten, vgl. Tz. 17). Diese zuletzt genannte Erfassung von Anlagegütern im Umlaufvermögen ergibt sich nicht aus §§ 370 AktG, 71 GmbHG, sondern die Umgliederung wird schon dann erforderlich, wenn die Zweckbestimmung für Anlagegüter entfällt, dauerhaft dem Unternehmen zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB). Die §§ 270 Abs. 1 AktG, 71 Abs. 1 GmbHG haben insoweit lediglich klarstellende Funktion. Sofern Änderungen tatsächlich erst dem neuen Geschäftsjahr (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO) als wertbegründende Tatsachen zuzuordnen sind, sind sie nicht in der Eröffnungsbilanz zu berücksichtigen, sonder...