Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 280
Gem. IAS 2.9 sind Vorräte mit dem niedrigeren Wert aus Anschaffungs- oder Herstellungskosten und Nettoveräußerungswert (net realisable value) zu bewerten. Nach der Definition des IAS 2.6 ist der Nettoveräußerungswert der geschätzte, im normalen Geschäftsgang erzielbare Verkaufserlös abzüglich der geschätzten Kosten bis zur Fertigstellung und der geschätzten notwendigen Vertriebskosten.
Als erzielbarer Verkaufserlös ist der geschätzte Erlös aus der Veräußerung abzüglich etwaiger Erlösschmälerungen heranzuziehen. Die Formulierung des IAS 2.6, dass es sich um einen Verkaufserlös im normalen Geschäftsgang handelt, schließt Erlöse aus Zwangs- oder Notverkäufen als Bewertungsmaßstab aus.
Kosten bis zur Fertigstellung sind insbesondere bei unfertigen Erzeugnissen zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich um die geschätzten Kosten, welche voraussichtlich anfallen, um diese Vorräte als Fertigerzeugnisse in einen verkaufsbereiten Zustand zu versetzen. Dem Vollkostenansatz des IAS 2 folgend, sind dabei neben den Einzelkosten auch produktionsbezogene Gemeinkosten zu berücksichtigen.
Hinsichtlich der geschätzten notwendigen Vertriebskosten ist darauf zu achten, dass lediglich die noch anfallenden Vertriebskosten bei der Ermittlung des Nettoveräußerungserlöses zu berücksichtigen sind. Die Verwendung eines pauschalen Zuschlagsatzes auf Basis von Erfahrungen gilt dabei als zulässig.
Bei der Ermittlung des Nettoveräußerungswerts ist grundsätzlich auf den Absatzmarkt abzustellen. Eine Ausnahme hiervon kann jedoch die Bewertung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen bilden.
Der Nettoveräußerungswert ermittelt sich demnach wie folgt:
Geschätzter Verkaufserlös |
– |
Erlösschmälerungen |
– |
geschätzte noch anfallende Fertigungskosten |
– |
geschätzte noch anfallende Verkaufskosten |
= |
Nettoveräußerungswert |
Tz. 281
Abschreibungen auf den Nettoveräußerungswert können bspw. aufgrund von Beschädigungen, ganz oder teilweiser Überalterung oder auch durch gesunkene Verkaufspreise notwendig sein. Darüber hinaus können auch Kostensteigerungen dazu führen, dass die aktivierten Kosten nicht durch die geplanten Erlöse gedeckt werden können. Eine Abwertung auf den Nettoveräußerungswert ist notwendig, da Vorräte nicht mit höheren Beträgen angesetzt werden dürfen, als bei deren Verkauf oder Gebrauch voraussichtlich erzielt werden können (IAS 2.28), sog. verlustfreie Bewertung.
Tz. 282
Die Folgebewertung von Vorräten hat grundsätzlich im Rahmen der Einzelbewertung zu erfolgen. Dennoch können ähnliche oder miteinander zusammenhängende Vorräte zusammengefasst werden. Dies ist etwa bei Vorräten derselben Produktlinie denkbar, welche einen ähnlichen Zweck haben, in demselben geografischen Gebiet produziert und vermarktet werden und praktisch nicht unabhängig von anderen Gegenständen dieser Produktlinie bewertet werden können. Eine grobe Zusammenfassung, z. B. sämtlicher Fertigerzeugnisse oder der gesamten Vorräte eines Geschäftsbereichs, ist hingegen nicht zulässig (IAS 2.29).
Tz. 283
Die Schätzung des Nettoveräußerungswerts hat auf Basis verlässlicher substanzieller Hinweise zu erfolgen, welche zum Zeitpunkt der Schätzung vorliegen. Etwaige Preis- oder Kostenänderungen, welche nach dem Bilanzstichtag auftreten, dürfen bei der Schätzung des Nettoveräußerungswerts nur insoweit berücksichtigt werden, als sie die Bedingungen zum Bilanzstichtag bestätigen (IAS 2.30). Folglich stellt IAS 2 auf eine stichtagsbezogene Abwertung ab, indem lediglich werterhellende Sachverhalte berücksichtigt werden, deren Ursache dem abgelaufenen Geschäftsjahr zuzuordnen ist.
Tz. 284
Zudem ist bei der Schätzung des Nettoveräußerungswerts der Zweck zu berücksichtigen, zu welchem die Vorräte gehalten werden. Für Vorräte, welche zur Erfüllung abgeschlossener Liefer- und Leistungsverträge gehalten werden, bildet der vertraglich festgelegte Preis die Basis für den Nettoveräußerungswert. Dies gilt jedoch nur für den zur Leistungserfüllung notwendigen Bestand an Vorräten. Die Ermittlung des Nettoveräußerungswerts eines etwaigen Überbestandes basiert auf allgemeinen Verkaufspreisen (IAS 2.31).
Darüber hinaus kann die Notwendigkeit zur Bildung von Rückstellungen für abgeschlossene Verkaufsverträge bestehen, wenn die hierzu erforderlichen Vorräte sich nicht im Bestand befinden. Die Verlustantizipation hat dann durch den Ansatz einer Drohverlustrückstellung zu erfolgen. Die entsprechenden Bilanzierungsvorschriften hierzu regelt IAS 37 (vgl. Kapitel 5 Tz. 534 ff. und vgl. Tz. 550 ff.).
Tz. 285
Die Zweckbestimmung der Vorräte ist zudem bei der Bewertung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen von besonderer Bedeutung. Da diese i. d. R. nicht wiederverkauft sondern zur Herstellung von Fertigerzeugnissen verwendet werden, hat eine Abwertung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe zu unterbleiben, wenn die entsprechenden Fertigerzeugnisse voraussichtlich zu Herstellungskosten oder darüber verkauft werden können.
Deuten jedoch Sachverhalte darauf hin, dass die Fertigerzeugnisse nicht ohne Verlust verk...