Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 13
Das Fortführungsprinzip erlaubt es, für die Bewertung einen going concern zu unterstellen. Vermögensgegenstände dürfen daher auch dann zu fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten bewertet werden, wenn augenblicklich nicht ersichtlich ist, ob eine Realisation dieses Betrages im Falle einer Veräußerung zu erzielen wäre. Das gilt auch noch bei kritischer Unternehmenslage, nicht mehr aber bei drohendem Unternehmenszusammenbruch.
Die Unternehmensfortführung ist der unterstellte Regelfall. Der Kaufmann hat aber zu prüfen, ob Gründe gegen diese Prämisse sprechen. Er hat dabei nach den Grundsätzen eines ordentlichen Geschäftsleiters zu beurteilen, ob das Unternehmen für einen überschaubaren Zeitraum seine Tätigkeit voraussichtlich fortsetzen wird. Ausreichend ist es regelmäßig, wenn dies für das auf den fraglichen Stichtag folgende Geschäftsjahr angenommen werden kann; die Fortführungsprognose nach § 19 InsO ist strenger. Zweifel führen nicht in jedem Fall zur Aufgabe der Fortführungsannahme, da der Ansatz zu Zerschlagungswerten bei kritischer Unternehmenslage in der Regel zur Überschuldung führt. Erforderlich ist, dass mit der Unternehmensaufgabe nahezu sicher zu rechnen ist. Ob mit Fortführung des Unternehmens zu rechnen ist, richtet sich nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten im Einzelfall.
In Betracht kommen folgende Gründe, die gegen die Fortführung sprechen können:
- Eröffnung des Insolvenzverfahrens
- Umweltauflagen, die die Produktion beschränken
- Auslaufen für den Betrieb wesentlicher Verträge
- Ausschöpfen der bestehenden Kreditlinien
- Wegfall des Zugangs zu Rohstoffmärkten
- Fehlschläge bei der Einführung neuer Produkte
- Verstärkung der Konkurrenz
- ungenügende Eigenkapitalausstattung
Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse am Abschlussstichtag. Wertaufhellende Erkenntnisse sind zu berücksichtigen, wertbegründende hingegen grds. nicht. Sofern aber nach dem Stichtag eintretende, also wertbegründende Umstände so gravierend sind, dass sie die Fortführungsprognose entfallen lassen, kann nach Ansicht mancher eine Ausnahme nach § 252 Abs. 2 HGB anzuerkennen sein. Ein Mittel zur Abwehr von Gewinnansprüchen ist die Ausnahme nach Abs. 2 jedoch nicht, dafür existieren gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltungsvorschriften.
BEISPIEL
Die Gesellschafter der A-GmbH beschließen zu Beginn des Geschäftsjahres in Zeiten konjunktureller Unsicherheiten die Fortführung des Unternehmens mit leicht verändertem Profil. Zuvor war ein Teil des Kundenstamms weggebrochen. Der Jahresabschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr wird nach dem Fortführungsprinzip aufgestellt und festgestellt.
Danach verschlechtert sich die Auftragslage drastisch und eine Bank verlangt die Zahlung ihrer Kredite zur Mitte des laufenden Jahres. In der Folge beschließt die Gesellschafterversammlung die Liquidation der Gesellschaft.Ob die Bilanzierung nach Going-concern-Grundsätzen zu Recht erfolgt ist hängt davon ab, auf welches Ereignis abgestellt wird, das Wegbrechen des Kundenstammes oder den Liquidationsbeschluss. Der Liquidationsbeschluss ist ein wertbegründendes Ereignis, dass in das neue Geschäftsjahr fällt. Es hat daher grds. keinen Einfluss auf die Frage, ob im vorangegangenen Geschäftsjahr zu Fortführungswerten bilanziert werden durfte. Das Wegbrechen eines Teils des Kundenstammes passierte aber schon im Geschäftsjahr davor. Es ist also ein Ereignis, das in den Zeitraum des fraglichen Geschäftsjahres fällt. Ob es dazu führt, dass die Fortführungsprognose negativ ausfällt, hängt davon ab, mit welchen Auswirkungen zu rechnen war. Dies ergibt sich insbesondere aus der Liquiditätsplanung des Unternehmens.