Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 33
Das Realisationsprinzip ist eine Ausprägung des Vorsichtsprinzips (vgl. Kapitel 4 Tz. 117). Gewinne dürfen danach erst verbucht werden, wenn sie realisiert sind. Das ist im Grundsatz dann der Fall, wenn der Gewinn durch einen Umsatzakt am Markt verwirklicht worden ist. Konkretisiert wird es durch das Anschaffungskostenprinzip (vgl. Tz. 666). Dadurch sind Beschaffungsvorgänge grds. erfolgsneutral, bis sich ein aus ihnen erzielbarer Gewinn am Absatzmarkt erwiesen hat. Das Realisationsprinzip gilt dabei sowohl für die Bewertung als auch den Ansatz.
Das Realisationsprinzip erfüllt gläubigerschützende Funktionen, da es die Ausschüttung von Gewinnen begrenzt. Es erlangt damit erhebliche gesellschaftsrechtliche Relevanz. In Rechtsordnungen mit einem am Prinzip des true and fair view stärker ausgerichteten Bilanzierungssystems wird das Realisationsprinzip z. T. in Form einer Ausschüttungssperre verankert.
Nach h. M. gilt das Realisationsprinzip nicht nur für die Erfassung von Erträgen, sondern auch von Aufwendungen. Danach soll entscheidend sein, ob auch der Aufwand schon realisiert, oder ob er wirtschaftlich einer späteren Berichtsperiode zuzuordnen ist. Vom Wortlaut der Nr. 4 ist das sicher nicht erfasst und entspricht eher dem Periodisierungsgedanken der Nr. 5. Dabei droht das Imparitätsprinzip zu stark in den Hintergrund zu rücken: es kann eine Aufwandsantizipation durchaus rechtfertigen. Darin liegt eine gesetzgeberische Wertentscheidung, die zu akzeptieren ist. Praktisch relevant wird die Problematik für die Frage, wann eine Verpflichtung wirtschaftlich verursacht und entsprechend eine Schuld (i. d. R. eine Rückstellung) zu bilden ist.
Tz. 34
Entscheidende Bedeutung kommt der Feststellung des Realisationszeitpunktes zu; er entscheidet über die Zulässigkeit bzw. Pflicht eines bilanziellen Ansatzes der jeweiligen Kosten. Im Grundsatz ist der Realisationszeitpunk der Zeitpunkt, zu dem der Sach- bzw. Dienstleistungsschuldner die ihm obliegende Leistung erbracht hat oder die Preisgefahr auf den Gläubiger übergegangen ist (z. B. nach § 447 BGB). Dabei kommt es auf die Leistungshandlung und nicht darauf an, ob bereits Erfüllung (§ 362 BGB) eingetreten ist; beides kann aber zusammenfallen (Bringschuld, Abnahme im Werkvertragsrecht, § 644 BGB). Zur Umsatzrealisation vgl. Kapitel 10 Tz. 369 ff.