Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 35
Verkaufsgeschäfte
Im Falle von Verkaufsgeschäften besteht die Problematik, dass unterschiedliche Zeitpunkte existieren, die für eine Ertragsrealisation in Betracht kommen. Denn es bestehen Gefahrtragungsregeln, Widerrufsrechte und Gewährleistungsrechte, die dafür sorgen, dass ein Ertrag nicht bereits dann als sicher verdient gelten kann, wenn die gelieferte Ware das Lager des Verkäufers verlassen hat. Grundsätzlich gilt, dass die Preisgefahr auf den Käufer übergeht, wenn der Verkäufer die Sache dem Käufer übergibt (§ 446 BGB). Ab diesem Moment trägt der Käufer die Gefahr der zufälligen Verschlechterung und des zufälligen Untergangs der Sache. Im Falle einer Schickschuld ist gem. § 447 BGB der Zeitpunkt der Übergabe an die Transportperson maßgeblich, der Zeitpunkt wird also vorverlagert. Dies gilt allerdings nicht, wenn es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, der Kunde (des Unternehmers, § 14 BGB) also ein Verbraucher (§ 13 BGB) ist. Dann bleibt es dabei, dass die Gefahr erst mit Übergabe auf den Käufer übergeht (§ 475 BGB). Außerdem haben Verbraucher regelmäßig Widerrufsrechte (z. B. bei Fernabsatzverträgen) oder freiwillig eingeräumte Rückgaberechte. Schließlich bestehen Gewährleistungsrechte, wenn diese nicht ausgeschlossen wurden oder nicht ausgeschlossen werden konnten, was insbesondere gegenüber Verbrauchern aus Rechtsgründen der Fall ist. In allen diesen Fällen verbleibt also ein Risiko, dass der Anspruch auf Zahlung noch nicht in dem Moment dauerhaft dem kaufmännischen Vermögen zuzuordnen ist, der Erlös also noch nicht realisiert ist.
Tz. 36
Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Ab diesem Zeitpunkt kann der Kaufmann davon ausgehen, den Anspruch auf die Gegenleistung verdient zu haben. Gegenüber einem Unternehmen ist deshalb regelmäßig der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Ware an den Spediteur übergeben wurde. Die übliche Praxis, bereits mit Rechnungsstellung zu buchen, ist deshalb unzulässig, wenn der Gefahrübergang noch nicht stattgefunden hat. Wird ein Verbraucher beliefert, kommt es folglich sogar darauf an, wann dieser die Sache erhalten hat. Das Bestehen von Gewährleistungsrechten ändert daran nichts. Den bestehenden Risiken, wegen Mängeln in Anspruch genommen zu werden, ist über die Bildung von Rückstellungen Rechnung zu tragen. Umstritten ist, ob dies auch für verbraucherschützende Widerrufsrechte und freiwillige Rückgaberechte gilt. Vielfach wird insofern vorgeschlagen, den Ablauf der bestehenden (gesetzlichen und freiwillig eingeräumten) Widerspruchs- oder Rückgabefrist abzuwarten. Angesichts hoher Widerrufs- und Rückgabequoten erscheint es durchaus sachgerecht, eine Realisation erst mit Ablauf der Frist anzuerkennen. Zwar ist die Preisgefahr bereits übergegangen, jedoch betrifft diese nur die Gefahrtragung bei zufälliger Verschlechterung und zufälligem Untergang. Bestehende Rückgabe- und Widerrufsrechte gewähren dem Käufer aber ein befristetes Recht, den Kauf rückabzuwickeln und damit auch den "Gewinnsprung", also die Realisation des mit der Veräußerung erwarteten Gewinns, rückgängig zu machen. Praktisch bereitet dieses Vorgehen wohl gewisse Probleme, weil die umsatzsteuerliche Erfassung schwieriger möglich ist.
Tz. 37
Langfristige Fertigung
Von praktisch erheblicher Relevanz ist, wann bei langfristiger Fertigung von einer Umsatzrealisation ausgegangen werden kann. Es geht dabei um Fälle stichtagsübergreifender Erbringung von Verpflichtungen, denen i. d. R. ein Werkvertrag zugrunde liegt (§ 631 BGB). Bei Werkverträgen besteht die Besonderheit, dass der Werksverpflichtete in Vorleistung tritt. Entscheidend für den Zeitpunkt der Ertragsrealisation ist deshalb, wann sein Zahlungsanspruch entsteht. Dies ist gem. § 640 Abs. 1 BGB der Zeitpunkt der Abnahme. Ist das Werk zum Bilanzstichtag noch nicht abgeschlossen und mithin noch keine Abnahme erfolgt, ist eine vorzeitige Gewinnrealisation nicht möglich; Vereinbarungen von Zwischenabnahmen, die einen Teilvergütungsanspruch auslösen, sind dabei jedoch zulässig (sog. completed-contract-Methode). Eine Erfassung allein aufgrund des tatsächlichen Fertigungsfortschritts (sog. percentage-of-completion-Methode) und somit eine Teilgewinnrealisation während der Fertigstellungsphase ohne Zwischenabnahme ist hingegen nach zutreffender Ansicht, anders als nach IAS/IFRS sowie US-GAAP, unzulässig, vgl. Kapitel 4 und vgl. Kapitel 10). Nach anderer Ansicht, die sich rechtlich auf § 252 Abs. 2 HGB stützen will, wird aus Praktikabilitätsgründen unter folgenden Voraussetzungen eine Teilgewinnrealisierung auch ohne Zwischenabnahmen für zulässig gehalten:
- Langfristige Fertigungen machen einen wesentlichen Teil der Unternehmenstätigkeit aus.
- Die Abrechnung erst nach Abnahme der ganzen Fertigungsleistung würde die Darstellung der Ertragslage des Unternehmens verzerren.
- Die Gesamtleistung muss kalkulatorisch in Teilleistungen zerlegt werden können.
- Der aus der lanfristigen Fertigung zu erwartende Gewinn ...