Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Christian Fink
Tz. 113
Als Dividende oder Gewinnanteil bereits eingegangene Beträge aus der Beteiligung sind von der ausschüttungsgesperrten Rücklage nicht erfasst. In diesem Fall ist der Zufluss gesichert. Zufluss bedeutet Eingang in den Machtbereich der Gesellschaft, z. B. durch Bankgutschrift. Für die Dividende oder den Gewinnanteil wird nicht danach differenziert, ob das Geschäftsjahr der Tochtergesellschaft deckungsgleich ist oder vorher geendet hat. Selbst bei zeitlicher Deckungsgleichheit sind durch eine Vorabausschüttung im GmbH-Recht zugeflossene Beträge ohne Notwendigkeit zur Bildung einer ausschüttungsgesperrten Rücklage vereinnahmt.
Tz. 114
Umstritten ist, was Beträge sein sollen, auf deren Zahlung die Gesellschaft einen Anspruch hat. Ein Teil der Stellungnahmen im Schrifttum geht davon aus, dass die Grundsätze zur phasengleichen Vereinnahmung von Dividenden nach den Prinzipien der "Tomberger"-Entscheidung des BGH beibehalten werden sollen. Weil außerhalb der "Tomberger"-Grundsätze Dividenden nicht phasengleich aktiviert werden dürfen, habe die Vorschrift keinen Anwendungsbereich. Der Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft (AKBR) widerspricht dem unter Verweis auf Art. 9 Abs. 7 Buchstabe c) der Bilanzrichtlinie und die Übersetzungen in die einzelnen Sprachen der Mitgliedstaaten. Es müsse ein Unterschied zwischen Ansprüchen gemacht werden, die am Abschlussstichtag (gerichtlich) geltend gemacht werden können, und solchen Forderungen, die (lediglich) bilanzrechtlich realisiert sind. Phasengleich aktivierte Dividenden unterfallen letzteren und damit der Ausschüttungssperre. Diesem Argument wird dahingehend widersprochen, dass Art. 9 Abs. 7 Buchstabe c) der Bilanzrichtlinie gar nicht umgesetzt werden müsste, weil diese Vorgabe allenfalls eine Option für die Mitgliedstaaten enthalte, bei denen das bilanzrechtliche Realisationsprinzip streng an die zivilrechtliche Forderungsentstehung geknüpft sei. Im HGB-Bilanzrecht ist das nicht der Fall.
Tz. 115
Die Auffassung des AKBR ist abzulehnen. Für sie sprechen jedoch der Wortlaut und auch der Umstand, dass für alle Fallgestaltungen ein Anwendungsbereich besteht. Ansprüche, die geltend gemacht werden können, sind nicht etwa stehen gelassene Dividendenforderungen des letzten Jahres (das sind durch Novation entstandene Darlehensansprüche), sondern Dividendenforderungen gegen Tochtergesellschaften, deren Geschäftsjahr vor dem Geschäftsjahr der bilanzierenden Muttergesellschaft endet und deren Gewinnausschüttung noch bis zum Ende des Geschäftsjahres der Muttergesellschaft beschlossen worden ist. Diese Sichtweise ist aber insofern nachteilig, als das Problem der Gewinnausschüttung im Konzern noch verschärft wird. Im Gesellschaftsrecht existiert das Problem, dass die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft die Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft durch entsprechendes Abstimmungsverhalten in der Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung vereiteln kann und so die eigenen Gesellschafter (insbesondere die eigenen Minderheitsgesellschafter) "aushungern" kann. Versucht die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft hingegen, zeitnah die erwirtschafteten Gewinne der Tochter-, Enkel-, Urenkelgesellschaften usw. nach oben zu ziehen, würden die Grenzen durch die Ausschüttungssperre gesetzt. So kann es insbesondere im mehrstufigen Konzern mehrere Jahre dauern, bis ein Gewinn bei der Muttergesellschaft vereinnahmt wird. Außerdem entsteht ein zweifelhafter Widerspruch, wenn die Beträge durch eine Vorabausschüttung vereinnahmt werden. Warum die bloße Entstehung der Dividendenforderung durch einen Gewinnverwendungsbeschluss der Tochtergesellschaft mit einer ausschüttungsgesperrten Rücklage, hingegen der endgültige Zufluss der Dividende mit einem verteilungsfähigen Gewinn korrespondieren soll, lässt sich nicht erklären. Auch lässt sich nicht klären, bis zu welchem Zeitpunkt der entsprechende Betrag vereinnahmt worden sein muss, um doch die Ausschüttungssperre zu umgehen.
Tz. 116
Zu folgen ist daher der Auffassung, die phasengleich realisierte Gewinnansprüche bei Tochtergesellschaften nach der "Tomberger"-Rechtsprechung als Betrag einordnen will, auf deren Zahlung die Kapitalgesellschaft einen Anspruch hat. Diese Sichtweise vermeidet die Probleme der Gegenansicht. Insbesondere entstehen keine unterschiedlichen Lösungen je nach Zufluss der Dividende. Soweit nach den strengen "Tomberger"-Grundsätzen phasengleich aktiviert wird, liegt auch keine gewinnerhöhende Maßnahme zu Lasten des Gläubigerschutzes vor; vielmehr steht ausschließlich eine Frage des Stichtagsprinzips zur Diskussion. Entgegen dieser Sichtweise läuft § 272 Abs. 5 HGB nicht ins Leere, weil es andere Fallgruppen gibt bzw. geben kann, die zu einer ausschüttungsgesperrten Rücklage führen.
Tz. 117
Ein Gewinnanspruch, auf dessen Zahlung die Kapitalgesellschaft einen Anspruch hat, liegt unter folgenden Prämissen vor:
- Zeitlicher Gleichlauf des Geschäftsjahres
- Beherrschung d...