Dipl.-Kfm. Ingo Harre, Dipl.-Ök. Kevin Lukat
Tz. 12
Nach der Auffassung des IDW und Teilen des Schrifttums läuft die Befreiung von der Steuerlatenzrechnung für Einzelunternehmen, nicht einen Ausnahmetatbestand erfüllende Personengesellschaften und kleine KapGes ins Leere. Danach besteht eine Pflicht zur bilanziellen Abbildung von passiven Latenzen – ausgenommen solche, die auf quasi-permanente Differenzen zurückzuführen sind (vgl. Tz. 6) – über die Passivierung einer Rückstellung, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 249 HGB erfüllt sind.
Tz. 13
Nach einer Gegenauffassung im Schrifttum wird die Pflicht zur Bilanzierung passiver latenter Steuern durch die Hintertür des § 249 HGB ausgeschlossen. Die Gegenposition beruft sich hierbei auf folgende Argumente:
- Es ist keine Änderung bestehender GoB eingetreten. Eine Ausdehnung der Steuerlatenzrechnung durch die Modernisierung des Handelsrechts ist daher nicht belegt.
- Auch eine historische Auslegung des Gesetzes begründet keine intendierte Ausdehnung der Vorgaben des § 274 HGB auf nicht unmittelbar angesprochene Unternehmen.
- Unabhängig von der Auslegung des Gesetzes und der Gesetzesbegründung sind aber die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung (rechtliche Entstehung/wirtschaftliche Verursachung) nicht erfüllt.
Die Gegenauffassung kommt daher zu dem Ergebnis, dass mangels rechtlicher Entstehung und wirtschaftlicher Verursachung eine passive Latenz keine nach § 249 HGB zu bilanzierende Schuld begründet, es somit also bei einer vollumfänglichen Befreiung bleibt.
Tz. 14
Neben den beiden (Extrem-)Positionen lässt sich noch eine weitere Auffassung feststellen. Die Bundessteuerberaterkammer klammert die Frage nach der Erfüllung der Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung aus und unterstellt (typisiert) eine Pflicht zur Passivierung einer Rückstellung für solche Fälle, "in denen die Ansatz- oder Bewertungsdifferenz auf steuerlichen Tatbeständen beruht, mit denen der Steuergesetzgeber eine Steuerstundung bezweckt." An folgende Konstellationen hat die Bundesteuerberaterkammer dabei gedacht:
Tz. 15
Die drei kontroversen Auffassungen führen zu einer Spaltung der Bilanzwelt. Es bleibt – bis zu einer abschließenden Klärung durch den Gesetzgeber – dem einzelnen Bilanzierer überlassen, welcher Auffassung er einen Vorzug einräumt. Eine besondere Herausforderung stellt – insoweit eine Beauftragung erfolgt – die Abstimmung mit dem Abschlussprüfer dar. Eine Unbeachtlichkeit für den Bestätigungsvermerk setzt voraus, dass die Position des Berufsstands als über die Gesetzesvorgaben hinausgehend erachtet wird. Zur Vermeidung von Auseinandersetzungen wäre daher eine Latenzrechnung durch die Hintertür des § 249 HGB zu wählen.