Dipl.-Kfm. Ingo Harre, Dipl.-Ök. Kevin Lukat
Tz. 77
Die Vorgaben in IAS 12.34 sehen eine Aktivierung aktiver latenter Steuern für noch nicht genutzte steuerliche Verluste (Verlustvorträge) vor, soweit es wahrscheinlich (probable, w > 50 %) ist, dass ein zukünftiger steuerpflichtiger Gewinn zur Verfügung stehen wird, mit dem die Verlustvorträge verrechnet werden können. Für die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gewinne gelten nach IAS 12.36 die gleichen Kriterien wie für den generellen Ansatz aktiver latenter Steuern (vgl. Tz. 50 ff.).
Tz. 78
Zur Ermittlung zukünftiger Gewinne verwenden Unternehmen Steuerplanungen, die aufgrund ungewisser zukünftiger Ereignisse zwangsläufig einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung unterliegen.
Ein Ansatz von latenten Steuern auf Verlustvorträge unterliegt starken Restriktionen, zu denen allen voran eine hinreichend realistische Steuerplanung gehört, welche glaubhaft macht, dass zukünftig ausreichend steuerliche Gewinne zur Verrechnung der Verlustvorträge vorliegen werden.
Im Sinne einer Objektivierung liefert IAS 12.36 nachfolgende Kriterien, die bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gewinne zu berücksichtigen sind:
- Verfügt das Unternehmen über hinreichende steuerpflichtige temporäre Differenzen, die dasselbe Steuersubjekt und dieselbe Steuerbehörde betreffen?
- Ist das Unternehmen noch vor dem Verfall der steuerlichen Verlustvorträge in der Lage, Gewinne zu erzielen?
- Sind noch nicht genutzte steuerliche Verlustvorträge auf Sachverhalte zurückzuführen, deren Wiedereintritt nicht wahrscheinlich ist?
- Stehen dem Unternehmen Steuergestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die noch vor einem etwaigen Verfall der Verlustvorträge zu steuerpflichtigen Gewinnen führen?
Tz. 79
Allerdings weist bereits IAS 12.35 darauf hin, dass eine Historie noch nicht genutzter steuerlicher Verluste ein deutlicher Hinweis (strong evidence) für Zweifel an der Entstehung ausreichender zukünftiger Gewinne bedeutet.
Sollte ein Unternehmen in der näheren Vergangenheit eine Historie von Verlusten erlitten haben (sog. Verlusthistorie), so können gem. IAS 12.35 aktive latente Steuern auf Verlustvorträge nur in dem Umfang aktiviert werden,
- in dem überzeugende substanzielle Hinweise (convincing evidence) dafür vorliegen, dass zukünftig in ausreichender Höhe zu versteuernde Ergebnisse zur Verfügung stehen werden, die mit den steuerlichen Verlustvorträgen verrechnet werden können, und/oder
- in dem ein Überhang der steuerpflichtigen über die abzugsfähigen temporären Differenzen vorliegt.
Eine Verlusthistorie ist dann gegeben, wenn das Unternehmen im Geschäftsjahr und in den zwei vorangegangenen Geschäftsjahren steuerliche Verluste erlitten hat.
Indizien für zukünftige steuerpflichtige Gewinne i. S. v. substanziellen Hinweisen sind z. B.:
- Prognose einer positiven Branchenentwicklung
- erfolgreicher Abschluss einer Restrukturierungsphase (Erfolg muss bereits messbar sein)
- Stilllegung oder Veräußerung verlustbringender Bereiche
- Nutzung von in der Vergangenheit entstandenen Anlaufverlusten
- gute Auftragslage
- Gewinnung von neuen Großkunden mit quantifizierbarem Auftragsvolumen
IAS 12.31 weist darauf hin, dass im Falle des Vorliegens einer Verlusthistorie in der näheren Vergangenheit die gleichen Grundsätze für den Ansatz aktiver latenter Steuern auf temporäre Differenzen heranzuziehen sind.
Werden im Falle des Vorliegens einer Verlusthistorie latente Steuern auf temporäre Differenzen und/oder Verlustvorträge o. ä. aktiviert, so sind regelmäßig die Voraussetzungen des IAS 12.82 (vgl. Tz. 92) erfüllt, welcher u. a. die Benennung der konkret vorliegenden substanziellen Hinweise im Anhang fordert. Besonderheiten ergeben sich, insoweit die nationalen Steuergesetze (wie in Deutschland oder Frankreich) eine Mindestbesteuerung vorsehen.
Tz. 80
Besondere Bedeutung für die Steuerlatenzrechnung hat eine Begrenzung der Realisation bestehender (Verlust-)Vorträge durch die Verpflichtung zu einer Mindestbesteuerung in Veranlagungszeiträumen, in denen ein Gewinn besteht, der gegen vorgetragene Verluste aufgerechnet werden kann. In Deutschland sind etwa § 10d Abs. 2 EStG i. V. m. § 8 Abs. 4 KStG und § 10a GewStG zu beachten. Der Ansatz aktiver latenter Steuern kann wegen der Begrenzung der Verrechnungsmöglichkeit vorgetragener Verluste in einzelnen Perioden nicht vollumfänglich zulässig sein. Auch wenn die Abzugsfähigkeit dem Grunde nach bestehen bleibt, ist doch eine zeitliche Verlagerung auf spätere Perioden zu berücksichtigen.
Tz. 81
Zusammenfassend gilt:
- Der Ansatz aktiver latenter Steuern auf Verlustvorträge bedingt die Erzielung zukünftiger Gewinne, eine Reduzierung zukünftiger Verluste reicht nicht aus.
Die Steuerplanung muss – unter Berücksichtigung evtl. genutzter Steuergestaltungsmöglichkeiten – die Erzielung zukünftiger Gewinne mit einer Wahrscheinlichkeit > 50 % glaubhaft machen. Im Falle des Vorliegens einer Verlusthistorie reicht allerdings die Erfüllung des "more likely than not"-Kriteriums nicht aus.
Die Wiederholung von Verlustjahren bzw....