Dipl.-Kfm. Ingo Harre, Dipl.-Ök. Kevin Lukat
Tz. 23
Steuerliche Verlustvorträge nehmen im Rahmen der Steuerlatenzierung eine Sonderstellung ein, da sich diese nicht aus den unterschiedlichen Wertansätzen von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten in Handels- und Steuerbilanz ergeben. Steuerliche Verlustvorträge beinhalten einen ökonomischen Vorteil, der sich darin widerspiegelt, dass diese zum Zeitpunkt einer Verrechnung mit zukünftigen Gewinnen die Steuerlast mindern. Dieser Steuervorteil ist bereits im Zeitpunkt der Entstehung des steuerlichen Verlustes in Form einer aktiven latenten Steuer abzubilden.
Für die Bilanzierung ergibt sich daraus ein hoher Ermessenspielraum, den der Gesetzgeber teilweise dadurch einschränkt, dass die Erwartungen durch entsprechende Planungen zu hinterlegen sind, deren Planungszeitraum in der Regel fünf Jahre beträgt, wodurch ein gewisses Maß an Nachvollziehbarkeit und Praktikabilität gewährleistet wird. Aufgrund dieser Sonderrolle bedingt der Ansatz aktiver latenter Steuern auf Verlustvorträge generell – wie nach IFRS (vgl. Tz. 77 ff.) – die Erfüllung restriktiver Voraussetzungen. Bei vorliegenden Verlustvorträgen besteht nämlich die zu widerlegende Vermutung, dass das Unternehmen auch zukünftig Verluste erleiden wird (negative Beweiskraft). Diese Vermutung kann erst durch überzeugende Hinweise für das Anfallen zukünftiger Gewinne abgeschwächt bzw. widerlegt werden und damit einen Ansatz aktiver latenter Steuern rechtfertigen. Eine Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gewinne, die vom Unternehmen als "more likely than not" und somit >50 % eingeschätzt wird, ist zumindest dann auch nach HGB nicht ausreichend (vgl. Tz. 81), wenn die Gesellschaft (oder Organschaft) im Berichtsjahr und in den beiden vorangegangenen Geschäftsjahren steuerliche Verluste erlitten hat (sog. Verlusthistorie). Der Ansatz aktiver latenter Steuern auf Verlustvorträge kann somit nur bei überzeugendem Nachweis der Durchbrechung der Verlusthistorie erfolgen. Ein Nachweis darüber gilt nur dann als erbracht, wenn eine glaubwürdige und überzeugende steuerliche Planungsrechnung vorliegt. Die Steuerplanung ist gem. § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB für einen Zeitraum von fünf Jahren aufzustellen. Im Falle eines Detailplanungszeitraums von weniger als fünf Jahren ist die "Lücke" durch z. B. Extrapolation zu schließen (DRS 18.19).
Mögliche Nachweise für die Erzielung zukünftiger Gewinne trotz einer bestehenden Verlusthistorie sind lt. DRS 18.18 ff. u. a.:
- Ausreichende passive latente Steuern innerhalb der Planungsperiode von fünf Jahren
- Trennung von bisherigen Verlustträgern
- Nutzung von Steuergestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Planungszeitraums
Tz. 24
Eine Aktivierung latenter Steuern bei Vorliegen einer nachhaltigen Verlustsituation und allein auf Basis zukünftig geplanter Gewinne ist besonders kritisch, wenn nicht sogar unzulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine substanzielle Änderung der zugrunde liegenden unternehmerischen Rahmenbedingungen erfolgt (Restrukturierung, Veräußerung defizitärer Unternehmensteile etc.) und laufende Planungsrechnungen kontinuierlich verfehlt werden. Besonderheiten ergeben sich, wenn in einem nationalen Steuergesetz eine Mindestbesteuerung verankert wurde (vgl. Tz. 80).