Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht: Feststellung von Schädigungsfolgen einer rechtsstaatswidrigen Strafhaft in der früheren DDR. Anforderungen an die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung
Orientierungssatz
1. Eine mit deutlichem zeitlichen Abstand zu einer erlittenen Schädigung (hier: politisch motivierte Strafhaft in der früheren DDR) auftretende psychische Störung kann jedenfalls dann, wenn sich für die Zwischenzeit keine Brückensymptomatik nachweisen lässt, im Regelfall nicht mehr ursächlich dem schädigenden Ereignis zugeordnet werden.
2. Für die Annahme eines posttraumatischen Belastungsstörung reicht es nicht aus, dass der Betroffene einer belastenden Situation ausgesetzt war (hier: mehrwöchige Isolationshaft im Rahmen einer Strafhaft in der früheren DDR). Vielmehr ist von einem solchen posttraumatischen Belastungssyndrom nur dann auszugehen, wenn der Betroffene später auf die erfahrene Situation mit Angsterlebnissen etwa durch quälende Erinnerungen oder Träume bzw. das Erleben von dissoziativen Zuständen oder intensiver psychischer Belastung bei Konfrontationen mit ähnlichen Ereignissen reagiert.
3. Einzelfall zur Beurteilung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Strafhaft in der früheren DDR (hier: abgelehnt).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.12.2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1934 geborene Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer/m höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beziehungsweise Grad der Schädigungsfolgen (GdS).
Der Kläger war vom 02.12.1958 bis zum 10.12.1964 in der D. in den Zuchthäusern W., T. und B. in politischem Gewahrsam. Nach der Haftentlassung beendete er im Jahr 1966 sein vor der Haft begonnenes Medizinstudium und flüchtete im November 1968 in die B.
Am 28.11.1968 stellte er einen Antrag auf Versorgung nach dem HHG und machte als Schädigungsfolgen eine Hepatitis infektiosa, rezidivierende thyreotoxische Krisen mit schweren pektanginösen Beschwerden, ischialgiforme Beschwerden bei Bandscheibenschaden, Senk-Spreizfüße, eine Arthrose im rechten Knie, eine chronische Sinusitis beidseits, eine Trigeminusneuralgie, eine vegetative Labilität, eine chronische Gastritis, vegetative Störungen, eine Prostatitis sowie eine beginnende Beugekontraktur der Finger 4 und 5 beider Hände geltend.
Der Kläger wurde auf Veranlassung des VA stationär begutachtet. Der Augenarzt Dr. P. erhob in seinem Gutachten vom 25.03.1969 von Seiten der Augen keinen pathologischen Befund. Dr. Sch. erachtete in seinem Gutachten vom 24.03.1969 auf chirurgischem und urologischem Fachgebiet als Haftfolgeschaden lediglich eine Narbe unterhalb der rechten Kniescheibe ohne Funktionseinschränkung. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. H. fand in seinem Gutachten vom 25.03.1969 auf seinem Fachgebiet keine mit den Haftverhältnissen in Verbindung stehenden Gesundheitsstörungen. Dr. B. führte in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 03.07.1969 aus, das psychische Verhalten des Klägers wirke sachlich und affektiv ausgeglichen. Auch der neurologische Befund sei in allen Anteilen regelgerecht gewesen. Eine leichte vegetative Labilität sei wegen der Geringfügigkeit der Symptomatik in einem internistischen Hauptgutachten mitzubeurteilen. Die während der Haft aufgetretenen stärkeren nervösen Erscheinungen seien jetzt bei Normalisierung der Lebensverhältnisse wieder völlig abgeklungen und bedürften daher keiner besonderen Berücksichtigung. Dr. B. empfahl in seinem internistischen Gutachten vom 24.03.1969 eine Nachuntersuchung und führte weiter aus, die noch vorhandenen vegetativen Beschwerden seien konstitutionell auf eine Schilddrüsenvergrößerung zurückzuführen und im Übrigen sei als Versorgungsleiden lediglich die Narbe unterhalb der rechten Kniescheibe mit einer MdE um 0 vom Hundert (v. H.) vorhanden. Aktenkundig wurde die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG des Senators für Arbeit, Gesundheit und Soziales B. vom 30.09.1969, in der bestätigt wurde, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG vorliegen und Ausschlussgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind. In seinem Zusatzgutachten vom 17.11.1969 führte Dr. B. aus, eine Bromthaleinretention sei als Reststörung nach durchgemachter Gelbsucht aufzufassen, wofür die MdE auf 20 v. H. geschätzt werde. Alle anderen Leberfunktionsproben seien normal gewesen. Weitere Schädigungsleiden lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 06.01.1970 anerkannte das VA B. als Schädigungsfolgen “Narbe unterhalb der rechten Kniescheibe; fibrotische Leberreststörung nach Gelbsucht„ und stufte die MdE mit unter 25 v. H. ein. Hiergegen er...